Weihnachten ist Nach-Hause-Kommen. Als StudentIn erwartet man das ganz besondere Fest und endlich mal Entspannung pur. Doch wie ist es eigentlich wirklich? Eine Ansicht auf die studentische Winterpause.
Die Zeit vor Weihnachten lässt keinen Raum für magische Besinnlichkeit. Dozenten denken, sie müssten mit Lektüre eskalierend um sich schmeißen. Beim Nebenjob kommen all die Aufgaben kurz vor Ende des Jahres grundsätzlich völlig überraschend. Und alle Freunde meinen, man würde sich im neuen Jahr nie wiedersehen und müsse darum dringend im Dauerlauf Filmabende, Kochabende und überhaupt Abende miteinander verbringen. Da hilft dann auch kein Tetrapak-Glühwein surpreme deluxe mehr dabei, in Weihnachtsstimmung zu kommen. Von Entspannung pur keine Spur.
Endlich Weihnachten – oder?
Alle Hoffnung liegt auf der Zeit zu Hause, wo standesgemäß am 22. Dezember hungrig und erschöpft einzufallen ist. Alle Taschen ge-, die Geschenke verpackt und ab mit Bus, Bahn, Auto oder Fahrrad ins Elternhaus, wo die Stimmung bestimmt schon genau so magisch ist, wie der herausgekramte Harry Potter-Band (gibt es eigentlich eine Verbindung zwischen der Kammer des Schreckens und meinem mittlerweile als Lagerraum missbrauchten Kinderzimmer?), mit dessen Hilfe die unbeschwerte Kindheitszeit wiederaufleben soll. Also rauf aufs Sofa mit einer Kanne Tee und Mutters Plätzchen, die letzte Zeit genießen bevor die ganzen Gäste…: „Saugst du noch durchs ganze Hause? Übermorgen kommen ja schon die Gäste!“ – „Ja, Mama…“ So viel zum Entspannen und Runterkommen. Und dabei gibt es hier nicht einmal einen Putzplan!
Wenn dann erstmal das Haus mit Perfektion und unter prüfendem Blick ins Reine gebracht wurde, ist Harry Potter schon vergessen und ich sitze noch hungriger und erschöpfter ohne ihn auf dem Sofa. Wenigstens gegen Hunger ist schnell etwas getan: Zu Hause ist der Kühlschrank nämlich wie von Zauberhand immer gefüllt (Accio, Essen!) und das Essen hier ist einfach doch was anderes als Pasta mit Pesto oder zu Abwechslung mal Pesto mit Pasta. Im Fernsehen dudelt anstatt Netflix irgendeine Casting- oder Quizshow – sowas gibt es noch? – und wenn schon der Glühwein nicht geholfen hat, tut es vielleicht das ein oder andere Glas Feuerzangenbowle mit den Eltern. Endlich etwas chill!
Wolkig mit Aussicht auf Fragenhagel
Der letzte Tag vor Weihnachten vergeht wie im Flug, die mitgebrachten Klamotten liegen wie von Zauberhand gewaschen und gebügelt auf dem Bett und der jüngere Bruder begibt sich panisch schimpfend auf den letzten Weihnachtsgeschenke-Raubzug („Bei Mama weiß man eh nie, was man ihr schenken soll!“). Vater entzieht sich dem ganzen Stress natürlich geschickt mit einem Hörbuch und einem Spaziergang. So langsam kriecht sie heran, die Weihnachtsstimmung… bis am 24. dann die Türklingel geht und von den Neffen über Tanten bis hin zu den Großeltern alle möglichen und unmöglichen Verwandten das Haus füllen. Und sofort wird mir klar, dass ich mich neben den Prüfungen auch auf das alljährliche Fragengewitter der Familie hätte vorbereiten sollen.
„Wie läuft es eigentlich mit deinem Studium?“ – „Gut!“
„Wann bist du denn endlich fertig?“ – „Bald!“
„Und was willst du danach mal damit machen?“ – „Alles.“
„Bist du eigentlich noch mit XY zusammen?“ – „Nein.“ – „Schade, ihr habt so gut zusammengepasst!“
„Schneidest du dir eigentlich mal wieder die Haare? Und dieser Bart!“ – „Danke für die netten Tipps!“
„Was hältst du eigentlich von diesen ganzen Flüchtlingen?“ – „Äääähm, ich muss dann mal schauen, ob ich was in der Küche helfen kann…“
Hatte ich nur den 24. erwähnt? Natürlich geht es über die Weihnachtsfeiertage genau so weiter: Die Fragerei reizt die Nerven und das viele Essen – definitiv nicht zu viel, niemals, nie – die Möglichkeiten des Hosenbundes aus. Zum Glück kann man sich die nächsten Tage dann doch endlich mal mit der Jogginghose bewaffnet verziehen, an den Geschenken erfreuen und endlich mal quality-time mit den Eltern und den Geschwistern verbringen. All der Stress davor scheint vergessen, wenn an den Tagen zwischen den Jahren die Heimatstadt und Umgebung erkundet wird, sich eigentlich nur wenig verändert hat, dafür aber an jedem Eck schöne Erinnerungen darauf warten, entdeckt zu werden.
Mit holprigem Rutsch ins neue Jahr
Bis… ja bis dann Silvester vor der Tür steht und alles wieder von vorne losgeht. Wo ich dieses Jahr feiere? Muss ich noch entscheiden, wie immer gibt es zig Optionen und jede lässt gewisse Freunde oder Verwandte beleidigt zurück. Ob es wieder Raclette gebe? „Och, nicht schon wieder!“ schallt es aus der einen Fraktion, „Jawohl, mit super viel Käse!“ aus der anderen. Wie soll man es da nur allen Recht machen? Am Besten man verzieht sich irgendwohin wo endlich Ruhe herrscht, doch dafür ist es jetzt schon zu spät. Irgendwann muss man sich dann entscheiden und wählt – natürlich wie an der Uni auch – den Weg des geringsten Widerstandes.
Warum tun wir uns das eigentlich jedes Jahr aufs Neue an? Kapitalismus, Pseudo-Besinnlichkeit und Stress pur und das fast eine ganze Woche lang? Naja, trotz allem sind wir doch gern zu Hause und auch den bruddelnden Onkel oder das oberflächlich-freundliche Klassentreffen sind bei genauerem Hinsehen und mit etwas Abstand gar nicht so schlecht gewesen. Der Stress ist auch ein ganz anderer, als noch 300 Seiten Lektüre und vier Referate bis zur nächsten Woche vor sich zu haben. Er löst sich irgendwann von ganz alleine wieder auf. Fast wie Magie. Und das Beste: Die Verpflegung für den Januar ist mit den eingefrorenen Leckereien aus der heimischen Küche definitiv gesichert: Die WG-Mikrowelle darf mit Weihnachtsbaum und Feuerwerk fleißig um die Wette leuchten.
Foto: Felix Müller