Die Evolution der Empathie

Vertrauen, Zuneigung, Mitgefühl. Grundmenschliche Gefühle, die jeder von uns spüren kann. Doch auch Tiere besitzen einen Sinn für Empathie. Dies war unter anderem das Thema der diesjährigen „Unseld Lecture“, bei der Neurophilosphin Patricia Churchland die neurologischen Prozesse hinter  Moral und  Gewissen beleuchtete.

Es geht darum, uns selbst zu verstehen. Das stellt Patricia Churchland am Mittwochabend klar, nachdem diverse technische Probleme im glühend heißen Audimax auf humoristische Weise gelöst werden konnten. Ehe die Neurophilosophin die evolutionären Prozesse hinter unserer Sozialität erläutern konnte, hatte Rektor Engler aus Solidarität mit dem Publikum sein Sakko und seine Krawatte abgelegt und der Techniker hatte sich zwischenzeitlich mehrmals einen Applaus für sein Eingreifen abgeholt.

Dann konnte die Vorlesung mit dem Titel „The Neurobiology of Moral Conscience“ des Forum Scientiarum starten und die Professorin aus dem kalifornischen San Diego erklärte dem Publikum den großen Unterschied zwischen Säugetieren und anderen Tierklassen:

Unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren hatten gleichwarmes Blut. Während andere Tierarten auf das Wetter und die Tageszeit angewiesen waren, konnten Säugetiere zu jeder Tageszeit und bei jeder Wetterlage aktiv sein. Ein großer Vorteil in der feindlichen Welt von damals, der aber auch mit Nachteilen verbunden war.

Professorin Patricia Churchland erklärt, wie sich neurologische Prozesse auf Gruppenverhalten auswirken.

„One thing you need to be is smart”

Die warmblütigen Säugetiere brauchen die zehnfache Futtermenge, um ihren Organismus auf die wohlig warmen Temperaturen zu bringen, die es ihnen gestatten, unabhängiger von der feindlichen Umwelt zu leben. Wie aber können diese enormen Nahrungsmengen beschafft werden? Churchland erklärt, es sei hierfür nötig, komplexer denken zu können und die Welt damit besser zu verstehen. Die Säugetiere von damals entwickelten eine höhere Lernkapazität und begannen die Kausalzusammenhänge ihrer Umwelt zu verstehen.

Diese Anpassung war nur möglich durch ein bestimmtes Gehirnareal: Der Cortex.

„Cortex is a funny looking thing“, bemerkt Churchland. Tatsächlich erwartet man von diesem faltigen Organ, das sich wie eine ungekochte Wurst um unser restliches Hirn windet, kaum, dass es uns ermöglicht ellenlange Hausarbeiten zu schreiben oder uns an den Freuden der Infinitesimalrechnung zu ergötzen. Dennoch war die Entwicklung des Cortex ein riesiger Schritt in Richtung Hegemonie der Säugetiere. Aber wie immer gibt es auch hier wieder einen Haken.

Mammalia sind Muttersöhnchen

Während zum Beispiel Amphibien, wie die Schildkröten, hunderte von Eiern legen können, sich daraufhin aber kaum um ihren Nachwuchs kümmern, sind Säugetiere (Mammalia) echte Helikoptereltern. Sie umsorgen ihre Sprösslinge, beschützen und belehren sie. Churchland erklärt, der Nachwuchs der Säugetiere sei besonders abhängig, da sich wichtige Strukturen im Hirn erst noch bilden müssten. Bei einem neugeborenen Menschen etwa bildeten sich schätzungsweise 10 Milliarden Synapsen pro Tag.

Säugetiere, wie Affen, sind in ihrer Entwicklung unglaublich abhängig von ihren Eltern.

Und genau hier hat Mutter Natur die nächste geniale Lösung entstehen lassen. Damit die Mutter sich um den Nachwuchs sorgt und nicht nur der eigene Überlebenswille im Zentrum ihrer Handlungen steht, benötigt sie einen Anreiz, eine Belohnung sozusagen. Bei Säugetieren wirken dabei Oxytocin und körpereigene Cannabinoide als Anreiz, sich an den Nachwuchs zu binden („bonding“). Diese Neurotransmitter werden vom Hypothalamus ausgeschüttet, wenn sich Mütter um ihre Sprößlinge kümmern. Wir merken die Wirkung von Oxytocin, wenn wir einer Person nahe sind, die wir mögen. Die Wirkung von Cannabinoiden kann man zum Beispiel aber auch bei einem kurzen Trip nach Amsterdam erforschen.

40 Stunden Sex am Stück oder Sharing is caring

Kleinste genetische Mutationen führten dazu, dass unsere Vorfahren Rezeptoren aufwiesen, die sensibel für Neurotransmitter wie Oxytocin waren. Eine Laune der Natur ermöglichte später auch männlichen Tieren mit diesem Chemiecocktail zugedröhnt zu werden.

Ersichtlich ist das besonders bei einer kleinen Mausart aus den USA: Die Präriewühlmaus lebt, im Gegensatz zu nah verwandten Mausarten, dauerhaft monogam zusammen. Und wie so oft steht am Anfang der Liebschaft der Sex. Die kleinen Nagetiere treiben es am Anfang ihrer Beziehung bis zu 40 Stunden lang, und zwar nur aus Spaß. Dieser Akt dient rein dem „bonding“ und hat nichts mit der Fortpflanzung zu tun, die darauffolgend eher unspektakulär und kurz abläuft.

Ähnliche Mutationen könnten bei unseren näheren Verwandten, den Affen zu ausgeprägter Sozialität beigetragen haben: Schimpansen erleben ein Hochgefühl ausgelöst durch Oxytocin, wenn sie zum Beispiel Essen verschenken. Das trägt dazu bei, dass sich einzelne Individuen der Gruppe vertrauen. Gefühle wie Zuneigung oder Vertrauen sind also bei diesen haarigen Glücks-Junkies nur aufgrund von winzigen Veränderungen der Gene vor Jahrtausenden möglich.

Der Hörsaal in der neuen Aula war überfüllt – viel Oxytocin wurde wahrscheinlich nicht ausgeschüttet.

„Good luck with that!“

Genau hier schlägt Churchland wieder den Bogen in die Welt der Gefühle und der Werte von Menschen, bei dem das Belohnungssystem zentral ist. Während es bei manchen Tierarten zu beneidenswerten Liebesleistungen führt, trägt es bei uns Menschen dazu bei, Normsysteme und Werte innerhalb von Gesellschaften zu etablieren, sowie Individuen zu bestimmten Handlungsweisen und Vorlieben zu zwingen.

Bei der Frage wie genau bestimmte Werte dann aber zustande kommen und welche richtig oder falsch sind, bleibt uns die Wissenschaftlerin aus den USA eine Antwort schuldig. Hier eröffnet sich wohl neben der Taxi-Branche ein weiteres Arbeitsfeld für Philosophen – oder wie Churchland meinte: „Good luck with that!“.


Info: Die Unseld Lecture wurde initiiert vom Forum Scientiarium, welches mit dem Format den Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften vorantreiben möchte. Gefördert wird die Vorlesung von der Udo Keller Stiftung Forum Humanum in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag.

Fotos: Florian Sauer, Pixabay

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