An der Wilhelmstraße 3 gehen täglich tausende Studenten vorbei. Was sich in dem Gebäude neben dem beliebten Café Willi befindet, wissen allerdings die wenigsten. Dort liegt die Heimat der christlichen Studentengruppe Unterwegs. Dabei ist „christlich“ anders zu verstehen, als man es zunächst vermuten würde. Ein Erfahrungsbericht.

Es ist Dienstag, kurz nach zwölf und ich öffne die Tür der Wilhelmstraße 3, kurz W3. Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee und selbst gebackenen Leckereien kommt mir entgegen. Gerade sind die „offenen Stunden“ bei Unterwegs, der dort beheimateten Studentengruppe. Von Dienstag bis Donnerstag am Nachmittag sind die Räumlichkeiten zum Verweilen und Kaffeetrinken geöffnet. Mein Sitznachbar, Anglist, scherzt, dass der (Filter)Kaffee billiger als im angrenzenden Café ist, denn bei Unterwegs ist dieser umsonst.

Unterwegs bietet tatsächlich sehr viele Sachen umsonst an. Neben Kaffee ist das vor allem die „Mittagspause“ am Dienstag, die, wie der Name es andeutet, zum Mittagessen einlädt. Fast schon eine Mensaalternative, überlege ich und packe mir einen großen Haufen Schupfnudeln auf meinen Teller. Das Essen ist jede Woche ein anderes Gericht und laut Aussage einer überschwänglichen Mitarbeiterin vegetarisch und oft sogar vegan.

Egal, was man glaubt, hier hat man einen Platz

Die „Mittagspause“ ist außerdem eine gute Gelegenheit, um sich innerhalb der Gruppe zu connecten. Mit den Menschen um mich herum spiele ich eine Runde Karten. Über uns an der Wand ragt ein großes Schild, das betont, dass jeder, egal ob Christ oder nicht, hier einen Platz hat. Die Identität als christliche Studentengruppe versteht Unterwegs vor allem darin, dass jedermann willkommen ist, egal welchen Hintergrund man hat.

Das Schild in der W3 deutet das Verständnis von Christlichkeit bei Unterwegs an

Ich esse die letzten Schupfnudeln auf und frage mich dabei, inwiefern man dabei von einer christlichen Studentengruppe sprechen kann. Der Frage gehe ich bei den sogenannten Donnerstagabenden in der Jakobusscheuer auf den Grund. Am Eingang begrüßt man mich mit der Frage nach meinem Namen, woraufhin ich einen Aufkleber mit diesem an die Brust geheftet bekomme.

Auch hier genieße ich wieder ein kostenloses Essen und unterhalte mich mit den Leuten an meinem Tisch. Ich erfahre, dass mich im Anschluss Musik erwartet. Die Lieder sind keine spezifisch christlichen, sondern solche, die man auch in den Charts hört. Sie sollen zum Thema des Abends passen, versichert man mir, sie können auch durchaus christliche Anbetungslieder sein.

Die Lieder aus Genres wie Country, Reggae und Pop, leiten auf die Rede hin. Hier wird auch kein christlicher Begriff wie Predigt oder Andacht benutzt, man spricht schlicht von einer Rede. Jede Rede hat einen Rahmen, oftmals Themen aus dem Studentenleben. Dabei wird ein Bezug zu einer christlichen Erzählung hergestellt. An diesem Abend berichtet der Redner, wie das Vaterwerden seine Sichtweise in vielerlei Hinsicht änderte. Diese unterschiedlichen Sichtweisen vergleicht er mit der Gott-Kind-Beziehung. Vor allem über den Vergleich der Sicht seines Sohnes auf ihn und Adam auf Gott muss ich eine Weile nachdenken und diskutiere mit dem neben mir sitzenden Englischstudenten.

Englisch ist sehr präsent

Zwar besteht „Unti“, wie die Studenten Unterwegs liebevoll nennen, aus Leuten mit vielen Hintergründen, aber eines fällt auf: Die englische Sprache ist sehr oft zu hören, weil dort viele internationale Studenten sind und weil gefühlt fast alle anderen Englisch studieren. Das geht sogar so weit, dass Unterwegs gemeinsam mit der englischen Fachschaft Veranstaltungen organisiert. Warum so viele Anglisten dort sind, können meine Nebensitzer nur so erklären, dass es vor einigen Jahren vor allem Englischstudenten waren, die Unterwegs für sich und ihre Kommilitonen entdeckten. Vielleicht spielen auch die Mitarbeiter eine Rolle, da die meisten von ihnen Amerikaner sind. Tatsächlich waren ursprünglich alle Mitarbeiter aus den USA, inzwischen gibt es auch deutsche. Kurioserweise unterhalten sich die Amerikaner, die mittlerweile perfekt Deutsch sprechen, wahrscheinlich weniger auf Englisch als die Anglisten. Die Idee zu Unterwegs kam auch ursprünglich aus den Staaten von der Mutterorganisation Globalscope, die weitere Ableger auf fast allen Kontinenten hat.

„Ein Geschenk an die Studenten“

Mir gegenüber sitzt eine hauptamtliche Mitarbeiterin, die auch aus den USA stammt und für Unterwegs ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegte. Ihr stelle ich die Frage, die mich schon länger beschäftigt, nämlich wie Unterwegs eigentlich alles finanziert. Auch der Nachtisch, den ich jetzt bekomme, kostet nichts. „Unterwegs ist ein Geschenk an die Studenten“, erklärt sie lächelnd. Die Mitarbeitergehälter und das ganze Essen werden von Spenden gezahlt. Dabei erhält Unterwegs nicht nur Unterstützung von Privatpersonen, sondern auch von Gemeinden.

Endlich weiß ich, wer den Apfelkuchen zahlt, den ich gerade genüsslich esse. Ich verabschiede mich und mache mich auf den Heimweg. Ich denke noch lange nach über die Studentengruppe, die ihre Christlichkeit dadurch versteht, dass sie besonders Anders- oder Nichtgläubige bedingungslos willkommen heißt. Mein Abschiedsgeschenk, Kakaopulver mit einem Spruch, schaue ich mir noch lange an und denke darüber nach, ob ich wieder ins W3 komme, wenn ich das nächste Mal in der Wilhelmstraße unterwegs bin.

Unterwegs trifft sich unregelmäßig am Donnerstagabend, sowie Dienstag bis Donnerstag von 13-17 Uhr. Die übrigen Veranstaltungen und weitere Informationen findet ihr bei der Unterwegs-Facebookseite oder unter https://unterwegstu.de/.

Fotos: Tobias Schallmeir

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