Die Partei „Demokratie in Europa“ (DiE) tritt zur Europawahl an – obwohl ihnen das europäische Parlament nicht demokratisch genug ist. Guido Drehsen, Landesvorsitzender der Partei „Demokratie in Bewegung“, unterstützt „Demokratie in Europa“ in Vollzeit neben seinem Job, ohne selbst zu kandidieren. Er erzählt, was ihn dazu bewegt und warum Europa demokratischer werden muss. Ein Bericht.
Guido Drehsen reicht den Kuli mit dem Logo seines Arbeitgebers LGI, einem internationalen Logistikunternehmen, über den Tisch in der Tübinger Kneipe Boulanger, wo sich die Partei „Demokratie in Bewegung“ wöchentlich trifft. Anfang des Jahres sammelte er dort Unterschriften für die Europawahlen im Mai. Gegen den Einfluss von Lobbyisten und für die „Demokratie in Europa“.
Wie ein Informatiker ganz pragmatisch versucht, Europa zu revolutionieren
„Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht komplett von Konzernen bestimmen lassen, weil die Macht hat das Geld, und das Geld haben die Konzerne“, sagt der 52-jährige IT-Berater. Er trägt Karohemd und einen grauen Laptoprucksack. Sein Interesse gilt den großen Themen der Politik. Als Jugendlicher holte er die entsprechenden Informationen bei Marx ein, wie er es formuliert. Er füllte auch einen Mitgliedsantrag für die SPD aus und ging zu einem Jusos-Treffen. Den Antrag zerriss er wieder. „Auf der unteren Ebene kann man in den großen Parteien so gut wie nichts gestalten, was Bundes- oder Europapolitik angeht. Wenn man etwas verändern wollte, musste man sich vom kleinsten Kreisverband aus hoch kämpfen“, glaubt er. Er wollte nicht „auf Ochsentour gehen bei den verkrusteten Altparteien“.
Stattdessen engagierte sich der Informatiker in seinem Konzern 15 Jahre lang in einer Mitarbeitervertretung und leitete dann den Wahlvorstand zur Bildung eines Betriebsrats, in dem er bis heute aktiv ist. Mit der Gesamtsituation blieb er unzufrieden: „Ich sah es ja an jeder Ecke und Kante durch meinen Job in der Logistikfirma, die größtenteils im Niedriglohnsektor aktiv ist, dass die Leute teilweise Zweit- und Drittjobs haben, um über die Runden zu kommen und auf der anderen Seite die Firmen immer mehr Gewinne gemacht und Rechte bekommen haben“. Er stand auf, ging gegen das Freihandelsabkommen TTIP auf die Straße, unterschrieb Onlinepetitionen.
Durch den Aufruf der„Demokratie in Bewegung“ (DiB) entdeckte er Anfang 2017 eine neue Partei für sich. Die Forderung nach einem Neuanfang für die Demokratie und der Wunsch nach Gerechtigkeit überzeugten ihn. Er wurde noch im selben Frühjahr Mitglied, eine Woche darauf gründete er den Landesverband in Baden-Württemberg mit.
Seit knapp einem Jahr ist dort Guido – bei DiB duzen sie sich – einer von zwei Landesvorsitzenden. Auf der parteieigenen Internetplattform kann jeder Initiativen einreichen, ob Mitglied oder nicht. Kann sie die Partei mit ihren Grundwerten vereinbaren, werden sie zur Abstimmung gestellt. Gewinnt eine Forderung eine Mehrheit, kommt sie ins Parteiprogramm. Digitale Technologie für eine basisdemokratische und utopischere Gesellschaft? Für Guido ist klar: „Das Wichtige sind immer noch die Menschen. Die technischen Tools bringen dir keine Ideen“.
Teil der paneuropäischen Liste von DiEM25
Ein Mensch mit Ideen ist der Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis. Als Finanzminister Griechenlands rebellierte er während der Schuldenkrise gegen die Sparauflagen. Er ist überzeugt, dass die Finanzkrise 2008 Europa in einen Abgrund gestürzt hat, aus dem wie einst aus der großen Depression 1929 das politische Monster Faschismus aufsteigen könnte. Dagegen kämpft er mit seiner europaweiten Bewegung DiEM25 an. Bis 2025 wollen sie eine demokratische Verfassung für Europa aufstellen. Für die kommende Europawahl suchte die Bewegung verschiedene Partnerparteien für das europäische Bündnis „European Spring“, um mit einem gemeinsamen Programm in mehreren Ländern zur Wahl anzutreten.
Bezüglich der Europawahlen ließ der Bundesvorstand der DiB abstimmen, ob sie den deutschen Wahlflügel von DiEM25, „Demokratie in Europa“ (DiE), bei den kommenden Europawahlen unterstützen sollten. Denn das Programm war sehr ähnlich: Ein Initiativrecht für das Parlament und die Gründung einer föderalen europäischen Republik. 295 Personen von 1128 Abstimmungsberechtigten nahmen an der Umfrage teil, 245 stimmten für die Zusammenarbeit.
Im November 2018 fuhr Guido nach Berlin, wo sie die Kandidaten für die Europawahl aufstellten. Varoufakis besetzt bei DiE nicht nur Listenplatz 1, er ist auch der Vordenker des stark wirtschaftlich geprägten Wahlprogramms. Der Deutsche kritisiert, dass bei DiEM25 die Entscheidungen vom Coordinating Kollektiv getroffen werden und nicht unbedingt mit dem übereinstimmen, was die Basis möchte. Aber: „Wir wollen beide, dass Europa deutlich gerechter und sozialer wird, und dann sollte man an einem Strang ziehen.“ Schon ab morgen, sagt der Grieche, könnten bestehende europäische Institutionen 500 Milliarden Euro jährlich in grüne Technologien, Bildung und Gesundheit stecken.
Guido kandidiert nicht für die Europawahl. Er baut lieber die Strukturen im Hintergrund auf. 40 Stunden in der Woche, laut ihm, neben seinem Vollzeitjob. Definiert Ablaufprozesse, etwa für die Aufnahme von Mitgliedern. Und natürlich ist er für die IT-Infrastruktur zuständig.
Fotos: Johannes Plate