Ein Gespenst geht um in Tübingen

Unter einer bedrohlichen Wolkendecke und Nieselregen begann die „Spooky Stadttour“ in Tübingen am unteren Ende der Neckargasse. Dass in Tübingen nicht nur ein Gespenst umher geht, sondern gleich mehrere Geschichten Kobolde, mysteriöse Reiter und Erscheinungen der übernatürlichen Art überliefern, hätten die meisten der TeilnehmerInnen wohl vorher nicht gedacht.

Ursprünglich war eine satirische Stadttour geplant, erklärt uns Margret Gönner zu Beginn. Man war unzufrieden mit der Situation in Tübingen im Jahr 2003, als etwa trotz leerer Stadtkasse die Paul-Horn-Arena gebaut werden sollte. So wollte sie eine Führung durch Tübingen anbieten, bei der etwa die damalige Oberbürgermeisterin als Vampir dargestellt wurde. Mehr durch Zufall bemerkte sie dann, dass es in Tübingen durchaus einige mysteriöse Erscheinungen, Sagen und Legenden gab.

Von Internationalem und Lokalem

Eine weit verbreite Sagengestalt in vielen Teilen Deutschlands und internationalen Legenden sind kopflose Reiter, die immer mal wieder für Angst und Schrecken sorgten. So wurde auch ein Vater mit seinem Sohn auf dem Rückweg nach Tübingen bei Dämmerung von einem solchen Reiter heimgesucht. Der Vater entkam dem Reiter, der wahlweise ohne Kopf oder mit dem Kopf unter dem Arm auftrat, nur knapp durch das Neckartor. Dieses stand damals am Ende der heutigen Neckargasse und war der wichtigste Ein- und Ausgang für die Stadt Tübingen.

Doch im Umkreis von Tübingen gibt es auch ganz einzigartige Gestalten. So geht etwa der „Ranzenpuffer“ aus dem Schönbuch im Wald zwischen Böblingen und Tübingen umher. Für seine gottlose Lebensweise wurde einst ein Jäger dazu verdammt noch lange Zeiten nach seinem Tod in dem heutigen Naturpark sein Unwesen zu treiben. Der „Ranzenpuffer“ trägt auch den Namen „Brüller“, da er meist durch sein lautes Brüllen in Erscheinung tritt. Mit Vorliebe weckt er rastende Wanderer durch lautes Geschrei in die Ohren auf, so dass diese auch Wochen danach nichts mehr zu hören vermögen. Meist verwandelt er sich danach in ein Wildschwein und zieht dann grunzend von dannen. Doch auch die Gestalt von anderen Tieren soll der ehemalige Jägersmann annehmen können. Seit 1997 dient der „Ranzenpuffer“ auch als Vorbild für die Narrenzunft in Kirchentellinsfurt.

Die zertifizierte Natur- und Landschaftsführerin Margret Gönner erzählt fachkundig über Sagen, Mythen und Legenden in und rund um Tübingen.

Aber auch andere Tiere mit magischen Fähigkeiten soll es um Tübingen herum geben. So berichtet eine Sage über einer Hirschauerin, die auf dem Weg in die Stadt einem Hahn begegnet sein soll. Nachdem die Versuche ihn zu fangen fehlschlugen, erzählte sie auf dem Markt von dem prächtigen Federvieh. Die anwesenden Marktleute schienen wenig erstaunt über das Misslingen der Frau, das Getier in ihren Besitz zu bekommen. Es solle sich um einen umgehenden Geist handeln und somit sei es natürlich unmöglich, dass jemals ein Mensch ihn fangen könnte.

Über Zwerge und Kobolde

Die Wälder und Weinberge um Tübingen waren seit jeher ein beliebter Ort für Sagen und Geschichten. So soll einst in der Ruine der Ödenburg auf dem Spitzberg ein Zwerg gehaust haben, welcher den Namen „Rotmäntele“ trug. Das „Rotmäntele“ war bei den Bauern als grantig und ungenießbar bekannt und so hielten sie meist Abstand von ihm. Eines Tages aber soll doch ein Bauer mit diesem ins Gespräch gekommen sein. Das „Rotmäntele“ erzählte diesem, dass irgendwo auf der Gemarkung Tübingen ein Schatz versteckt sei, so groß wie der Österberg. Sollte man diesen Schatz allerdings jemals finden, wusste das „Rotmäntele“ schon ganz genau was dann zu tun sei: Man dürfe ihn auf keinen Fall in Tübingen ausgeben, sondern solle ihn in einer apfelgrünen Kutsche nach Wien befördern. Auch das Rotmäntele dient heute als Vorbild für eine Fasnetssfigur.

Wegen der dichten Bebauung in der „Unterstadt“ scheint in den Wintermonaten nur sehr selten die Sonne in die Fenster der Häuser. Der perfekte Ort für Kobolde, Geister und mysteriöse Erscheinungen.

Geheimnisvolle kleine Männlein soll es aber auch innerhalb der Stadttore in Tübingen geben haben. So wurde reichen Familien zu Tübingen nachgesagt, sie hätten ein „Geldmännle“ zu Hause. Dieses soll zwar ein hässlicher Kobold sein, der den Menschen allerdings zu Wohlstand verhilft.

Doch auch garstige Kobolde sollen sich in Tübingen herumgetrieben haben. In der ehemaligen Scheune hinter dem Nonnenhaus, erzählt man sich, soll einst der „Einfüßle“ gelebt haben. Wie am Namen abzuleiten hatte dieser nur einen Fuß und musste somit immer umherhüpfen. Die größten Freuden hatte der „Einfüßle“ daran, die unbeaufsichtigt spielenden Kinder umher zu werfen.

Zwar hat der „Einfüßle“ seine Hausherren nicht zu reichen Leuten gemacht wie das „Geldmännle“, allerdings ging von ihm auch keine wirkliche Gefahr für die Kinder aus. Eine damals tatsächlich existierende Gefahr war jedoch der heutige Ammerkanal, welcher vor über hundert Jahren noch ein reißender Mühlbach war, in dem regelmäßig Kinder ertranken.

Der Teufel und der Weinkrug

Auch der Teufel musste immer wieder für allerlei Übernatürliches herhalten. Bei ganz weltlichen Sorgen wurde der Teufel sogar um Rate gefragt. So soll ein Student, der im Jahr 1590 in Geldsorgen war, in der Haaggasse 19 einen Vertrag mit dem Teufel geschlossen und ihm seine Seele für drei Gulden angeboten haben. Als dieser Vertrag dann gefunden wurde, bekam er mit einigen Wochen Karzer eine recht milde Strafe. Vermeintliche Verträge mit dem Teufel wurden damals auch gerne mit dem Tod bestraft. Doch der Teufel spielte auch knapp 400 Jahre später noch einmal eine Rolle in Tübingen. In einem baufälligen Haus in der Altstadt entdeckte eine neu nach Tübingen gezogene Familie eines Morgens einen riesigen Brandfleck unter dem Bett der Tochter. Ihre einzige Erklärung war, dass dieser vom Teufel stammen müsse. Diese Geschichte ereignete sich in den 80er Jahren.

In so einem Weinkrug wurde einst ein Dämon gebannt (Abbildung ähnlich).

Bei den damals ausgeführten Exorzismen galt es, Geister, Teufel und Dämonen auszutreiben. So wurde damals ein Geist in einen Weinkrug fortbeschworen. Dieser Geist soll dann mit dem Krug davon geflogen und über dem Schönbuch-Wald verschwunden sein.

Der reale Irrsinn

Vermutlich Übernatürliches wurde früher gerne auch als Schutz benutzt, um sich selbst nicht in Gefahr bringen zu müssen. Als etwa 1492 in Tübingen die Pest wütete, brachte man alle Pestleichen in die damalige Kapelle des Wilhelmsstifts. In der Nacht vernahmen die Menschen dann die Schreie eines vermeintlich Untoten. Vermutlich hatte man jedoch tatsächlich nur eine lebendige Person mit in die Kapelle eingesperrt, der um Hilfe rief. Weniger übernatürlich, aber dennoch gruselig ist ein Fund im heutigen Stadtmuseum.

Früher wurden auch Menschen in Gebäude mit eingemauert, später bediente man sich an Tieren. Eier wurden als „gemäßigte“ Variante etwas Lebendiges einzumauern angesehen.

Bei Renovierungsarbeiten fand man ein natürlich mumifiziertes Skelett einer Katze im Mauerwerk des früheren Kornhauses. Die Menschen waren früher der Meinung, dass etwas Lebendiges einem Bauwerk erst die notwendige Haltbarkeit geben würde.

Wer wissen möchte was es mit dem Greif am Eck der Stiftskirche auf sich hatte und welche mysteriösen Vögel und Tiere sich dort sonst noch herumgetrieben haben sollen, warum die Kegelbahn im Haus der Studentenverbindung Roigel auch „Mörike-Kegelbahn“ genannt wird und warum eine frühere Haushälterin im Ammerhof eine ziemliche Fehlbesetzung war, der muss sich selbst auf den Weg machen durch die engen Gassen der Altstadt, um Tübingen in einem gespenstischem Licht zu sehen.

Der Greif am Eck der Stiftskirche, ebenfalls Verlagszeichen des 1659 in Tübingen gegründetem Cotta-Verlag, der u.a. Schiller und Goethe verlegte.

„Einen großen Beitrag für die Verschriftlichung der schwäbischen Sagen und Märchen lieferte Ernst Heinrich Meier. Er war Professor in Tübingen und veröffentlichte 1852 das Buch Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben.“

Die Führungen finden bei guter Wettervorhersage gelegentlich freitags um 17 Uhr am unteren Ende der Neckargasse statt. Angekündigt wird dies im Schwäbischen Tagblatt, sowie dem Reutlinger Generalanzeiger. Für Interessierte bietet Margret Gönner auch zusätzliche Führungen an. (Kostenpunkt: 70€ für Private Gruppen; 50€ für Gemeinnützige).
Kontakt: margret@margret-goenner.de

Bilder: Tobias Schallmeir

 

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