Es sind Bilder, die im Kopf bleiben: Bilder von Flucht, Furcht und Gewalt. Aber auch Bilder von denen, die dagegen kämpfen: Ärzt*innen, Aktivisten, Alltagsheld*innen. Im Rahmen der Menschenrechtswoche präsentierte Claus Kleber seinen neuesten Film „Unantastbar“ im Kino Museum.
Im vergangenen November feierte die Erklärung der Menschenrechte ihr 70. Jubiläum. Der Film „Unantastbar“ macht sich auf, zu erkunden, wie es in unserer heutigen Gesellschaft um die Umsetzung dieser bahnbrechenden internationalen Richtlinien steht. Der Film macht dabei nicht halt vor den unbequemen Wahrheiten, denn: „Für die Geltung der Menschenrechte beginnt gerade eine entscheidende Phase, da will dieser Film nicht neutral sein“. So nehmen Claus Kleber, langjähriger Auslandskorrespondent der ARD, Moderator des heute journals und Honorarprofessor des Instituts für Medienwissenschaft, und seine Co-Produzentin Angela Andersen das Publikum mit auf eine Reise um die Welt.
Von China über Kenia, die Türkei, Guatemala und die USA, überall trifft das Filmteam, und mit ihm das Publikum, auf Menschen, die gegen Menschenrechtsverletzungen ankämpfen. Sie interviewen bekannte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Ex-Bundespräsident Joachim Gauck oder Kenneth Roth, den langjährigen Leiter von Human Rights Watch und weniger bekannte, die junge spanische Ärztin zum Beispiel, die für Ärzte ohne Grenzen im Flüchtlingslager auf Lesbos arbeitet oder die junge türkische Journalistin, die für Cumhuriyet schreibt und für jeden kritischen Artikel fürchten muss, im Gefängnis zu landen.
Aber der Film gibt auch denen eine Stimme, deren Menschenrechte verletzt werden: Frauen der Rohingya in ihren Flüchtlingslagern in Bangladesch. Den Bewohner*innen eines kleinen Bergdorfes in Guatemala, das von Söldnern der Minenbesitzer überfallen, deren Frauen geschändet und Männer ermordet wurden. Einem syrischen Flüchtling und seiner Familie in dem Flüchtlingslager auf Lesbos.
„Kein Best-of der Menschenrechtsverletzungen“
Auch Umweltthemen spricht der Film an. Sie stehen in krassem Gegensatz zu den Szenen aus einer chinesischen Firma, die Unglaubliches auf dem Feld der Gesichtserkennung leistet. Es wird deutlich: China ist nah dran am Staat der totalen Überwachung. Und sie denken, dass sie damit auf dem richtigen, dem besseren Weg sind, auch die jungen Chines*innen. Recht auf Privatsphäre? Fehlanzeige.
So führt der Film in eindrücklichen Bildern nicht nur rund um den Globus, sondern auch quer durch die Menschenrechte. Vieles wirkt bedrückend, vieles aber auch hoffnungsfroh, eines aber ist eindeutig: Auch 60 Jahre nach ihrer Unterzeichnung sind die allgemeinen Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit. Claus Kleber wird in der an den Film anschließenden Podiumsdiskussion sagen: „Wir wollten auf keinen Fall ein Best-of der Menschenrechtsverletzungen drehen. Uns war es wichtig, die Helden in den Mittelpunkt zu stellen und all den Trumps, Putins, Dutertes, Erdogans, um die es ja eigentlich geht, zu zeigen: Wir haben für euch nur 20 Sekunden!“ [im Vorspann, Anm. d. Redaktion].
Der Film wolle vor allem die Wertschätzung der Menschenrechtserklärung, dieser „unglaublichen Menschheitszivilisationsleistung“ zum Ausdruck bringen, die weltweit einmalig war und ist. „Wenn man die Menschenrechte heute liest, ist einiges natürlich schon sehr 1948, also einiges überholt und anderes fehlt, zum Beispiel Umweltthemen oder auch KI-Themen, an die damals einfach noch niemand gedacht hat. Man kann also darüber diskutieren, ob die Menschenrechte angepasst werden müssten, aber dabei darf man die Basis niemals verlassen“, so Kleber.
Eine neue Problematik in Zeiten der KI?
Die Podiumsdiskussion wurde geleitet von Prof. Susanne Marschall vom Institut für Medienwissenschaften. Neben Claus Kleber diskutierten Lena Dickemann, eine Aktivistin der Menschenrechtswoche, Prof. Ulrike von Luxburg, Professorin für maschinelles Lernen und Dr. Wieland Brendel vom Tübinger Kompetenzzentrum AI. Wie bei einer solchen Gästeauswahl wenig verwunderlich, drehte sich das Gespräch im folgenden hauptsächlich um Roboter, Algorithmen und künstliche Intelligenz (KI), die vielen anderen Themen des Films fanden kaum Beachtung.
So machte von Luxburg auf Marschalls Einstiegsfrage klar, dass Roboter nicht intelligent sind und es auch in absehbarer Zeit nicht sein werden, ebensowenig mitfühlend. Sie seien zwar mittlerweile sehr gut in Textverarbeitung und -produktion, wodurch sie menschenähnliche Gespräche simulieren könnten, aber dabei könnten sie kein Wissen extrahieren. Dr. Brendel ergänzte: „Algorithmen können das tun, was ihnen einprogrammiert wurde, aber sie haben dabei nicht verstanden, um was es wirklich geht. Wenn ein Roboter ein Bild von einem Elefanten erkennen kann, hat er deshalb trotzdem nicht verstanden, was ein Elefant eigentlich ist.“ Er sei sich sicher, dass uns andere Themen der KI viel früher beschäftigen werden als humanoide Roboter – Bots zum Beispiel, die die öffentliche Meinung beeinflussen.
Claus Kleber stimmte zu und wies darauf hin, dass ein Anliegen des Films gewesen sei, darauf aufmerksam zu machen, dass wir als Menschheit in vielen Fragen am Scheideweg stehen, zum Beispiel was die Umwelt oder eben auch KI angeht. Die beiden KI-Expert*innen brachten ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass Algorithmen auf vielfältige Weise genutzt werden könnten, sowohl positiv als auch negativ. Hier sei die Politik gefragt, Lösungen zu finden und Richtlinien festzulegen und zwar in einem größeren Ausmaß, als es jetzt der Fall ist. Vor allem aber, waren sich Brendel und von Luxburg einig, gehe es bei der Nutzung von Algorithmen um eine gesellschaftliche Debatte und eine gesellschaftliche Entscheidung.
Kleber sah die gesellschaftliche Entscheidungsmacht nicht so zuversichtlich: „Wenn uns in Zeiten einer politisch aufgeheizten Stimmung, sei es durch eine Mordserie, Terror oder was auch immer, versprochen wird, durch Überwachung weniger Verbrechen und mehr Sicherheit zu schaffen, wird es wirklich gesellschaftliche Widerstand geben? In China hat das schon funktioniert. Das Gedankengut muss nicht mit Soldatenstiefeln ins Land getragen werden, es kommt auch so.“
Das Internet, „ein unendlicher Schatz an Möglichkeiten“
Lena Dickemann machte darauf aufmerksam, dass es nicht nur um die Frage gehe, wie man in Zukunft mit KI, Algorithmen und den Datenmengen, die sie generieren, umgehen wolle, sondern auch darum, wie wir mit den Daten umgehen sollten, die jetzt schon existieren. Viele Menschen gingen nicht verantwortungsvoll mit ihren Daten um, darum appellierte Dickemann, mehr über dieses Thema zu diskutieren. Die anderen Diskussionsteilnehmer*innen stimmten zu. Während von Luxburg weiterhin ihre Meinung vertrat, dass die Politik gefragt sei, Regeln zu etablieren, widersprach Brendel Klebers Zukunftsszenario. Die Algorithmus-Debatte werde immer eine gesellschaftliche bleiben. „Die Frage ist, wie bekommt man einen rationalen, faktenbasierten Diskurs hin anstatt der hysterischen Debatten, die momentan oft vorherrschen?“
Claus Kleber erzählte von einer Erfahrung, die er bei einem Dreh im Facebook-Hauptquartier im Silicon Valley machte: Dort wurde ihm der Raum gezeigt, in dem der Facebook-Nachrichtenalgorithmus weiterentwickelt wird. Der Technik-Chef habe zu Kleber gesagt: „This algorithm will make you happier, because you only see what you care for.“ Den Einwand, dass einige Menschen das schlecht oder bedrohlich finden könnten, habe er überhaupt nicht verstanden. „Das Bewusstsein war einfach überhaupt nicht da. Die Debatte muss erst einmal losgehen in den Köpfen. Wir müssen verstehen, wie Informationsvermittlung funktioniert und im Moment kommen wir einfach nicht schnell genug hinterher.“
Und auch wenn China gezeigt habe, dass es möglich sei, ein Land komplett vom Rest der Welt abzukoppeln, dürfe man das Internet nicht nur als Gefahr sehen. Kleber sehe es vielmehr als neutralen Ort, an dem eben auch viele Dinge geschehen, wie zum Beispiel die Organisation der Menschenrechtswoche, die ohne das Internet ja auch nicht möglich sei. Das Internet sei also „ein unendlicher Schatz an Möglichkeiten.“
Der Film „Unantastbar“ wurde am 27. November 2018 auf Arte erstausgestrahlt. Die wirklich sehr sehenswerte Dokumentation kann noch bis Ende Dezember in der ZDF-Mediathek angesehen werden.
Bilder: Paula Janke, Sophie Morar