Die Stadt Tübingen pflegt seit den 1950er Jahren Städtepartnerschaften, um den kulturellen und internationalen Austausch voranzubringen. Zusätzlich zu der ersten Partnerschaft 1959 mit Monthey, in der Schweiz, wurden über die Jahre noch zehn weitere Partnerschaften mit Städten auf der ganzen Welt geschlossen. Über einige dieser Städte wird in dieser Artikelreihe berichtet werden, von RedakteurInnen, von denen manche selbst schon die Städte, ihre Menschen und ihre Kultur kennenlernen durften.
Tübingen, 1955: Im französischen Viertel und in der Loretto-Kaserne leben französische Besatzungssoldaten, die französische Schule ist gerade in ein eigenes Gebäude umgezogen. Das Besatzungsregime ist kaum beendet, als die Tübinger Stadtverwaltung Kontakt mit ihrem Pendant im französischen Aix-en-Provence aufnimmt – der erste Schritt auf dem Weg zur Städtepartnerschaft. Auftrieb bekam das Kooperationsbestreben durch die Universitäten Aix und Tübingen, die 2007 das 50-jährige Bestehen ihrer Zusammenarbeit feierten. Doch die Uni-Kooperation zu einer vollen Städtepartnerschaft auszubauen, gestaltete sich zunächst noch schwierig. „Da waren natürlich die Gedanken an die Kriege“, erklärt Friederike Hoyler, die bei der Stadt Tübingen die Partnerschaft betreut. Aufgrund der zeitlichen Kriegsnähe und des noch herrschenden Misstrauens gegenüber den Deutschen dauerte es nach der ersten Kontaktaufnahme noch fünf Jahre, bis die Partnerschaft besiegelt werden konnte.
Tübingen und Aix als deutsch-französische Vorreiter
Trotzdem gilt Tübingens Partnerschaft mit der südfranzösischen Stadt als Paradebeispiel für die deutsch-französische Freundschaft. Denn die Partnerschaft entstand 1960, drei Jahre vor der offiziellen Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs im Elysée-Vertrag. Nur einige wenige deutsche Städte wie Ludwigsburg hätten früher französische Partnerschaften geschlossen, erzählt Friederike Hoyler. Überhaupt habe es wenig Partnerschaften vor den 50er-Jahren gegeben, da die deutsch-französischen Städtekooperationen die Idee der Partnerschaft überhaupt popularisiert hätten. „Die deutsch-französischen Partnerschaften hatten ganz klassisch die Völkerverständigung zum Ziel. Heute steht das nicht immer im Vordergrund, mit Moshi zum Beispiel haben wir eher eine Umweltpartnerschaft“, sagt Hoyler.
Seit fast 60 Jahren also setzen sich die Aixer*innen und Tübinger*innen für die deutsch-französische Freundschaft ein, wofür auch schon Preise an die beiden Städte gingen: 1965 erhielten beide Städte für ihr Engagement gemeinsam den Europapreis. Außerdem vergibt die deutsch-französische Gesellschaft Tübingen alle zwei Jahre den Hans-Gmelin-Preis, der abwechselnd an Tübinger*innen und Aixer*innen geht.
Studieren im sonnigen Aix
Diesen Preis erhielten bereits einige Universitätsmitarbeitende – denn auch heute bildet der universitäre Austausch den Kern der Partnerschaft. Wenn man an die ca. 300 Sonnentage denkt, die Aix-en-Provence jedes Jahr zu verzeichnen hat, wird man neidisch auf Tübinger Studierende, die gerade das Wintersemester in Aix verbringen. Austauschprogramme werden in vielfältigen Studiengängen angeboten, von Chemie über Informatik über Sport bis hin zu natürlich Romanistik. Auch zwei Studiengänge mit Doppelabschlüssen bieten die Universitäten Aix-Marseille und Tübingen an: Den Master „Interkulturelle Deutsch-Französische Studien“ und den Geschichtsstudiengang „TübAix“ im Bachelor und Master. Bei TübAix im Master wird ein Jahr in Tübingen studiert, ein Jahr in Aix; ebenso bei den Deutsch-Französischen Studien, die als interdisziplinärer Studiengang zum Beispiel Kurse aus Literatur-, Medien- und Politikwissenschaften beinhalten.
„Die Tübinger sind sehr frankophil“
Über Besuch aus Aix können sich die Tübinger*innen zum Beispiel beim jährlichen umbrisch-provenzalischen Markt freuen, bei dem es Köstlichkeiten aus Aix-en-Provence und Perugia gibt. Einen frischen Markt gibt es in Aix jeden Tag, in der Altstadt mit ihren vielen Plätzen und Brunnen in der Nähe des Prachtboulevards Cours Mirabeau. Folgt man dem Cours Mirabeau bis zum Brunnen ‚Fontaine de la Rotonde‘ und fährt dort südlich ab, ist man in einer halben Stunde in Marseille. Eine halbe Stunde östlich von Aix hingegen kann man in die Fußstapfen des wohl berühmtesten Sohnes der Stadt treten: Paul Cézanne. Hier befindet sich das Sainte-Victoire-Gebirge, das Cézanne nach stundenlanger Betrachtung in einer Serie von Gemälden festhielt.
Heutige Aixer KünstlerInnen werden nächstes Jahr zum 60. Jubiläum der Partnerschaft in Tübingen begrüßt. Die Völkerfreundschaft ist heute selbstverständlich, das Interesse richtet sich um so mehr auf kulturellen, akademischen und sprachlichen Austausch. „Die Tübinger sind sehr frankophil“, sagt Hoyler.
Fotos: Sophie Spiteri, Regis Cintas Flores