In über 100 deutschen Städten wurde am Dienstagabend der Film „Menschsein“ vorgeführt. Mit den Worten „Als Kind hatte ich Angst vor Menschen mit Behinderung“ begann der Film eines Tübinger Realschullehrers, der sich auf eine Reise durch 23 Nationen gewagt hatte. Getrieben wurde er von der Frage „Was hat verdammt nochmal Menschsein mit Behinderung zu tun?“. Mehr über die Filmvorführung und die Hintergründe erfahrt ihr hier.
Am 3. Dezember war internationaler Tag der Menschen mit Behinderung. An diesem Tag begann ebenfalls die Veranstaltungsreihe „10 Jahre Erklärung von Barcelona“ in Tübingen. Die Erklärung von Barcelona, die Tübingen vor 10 Jahren unterschieb, hat zum Ziel, Menschen mit Behinderung am Leben in der Kommune vollumfänglich teilhaben zu lassen. Im Rahmen der Auftaktveranstaltung am Dienstagabend in der Aula (Uhlandstraße) wurde der Film „Menschsein“ des Tübinger Realschullehrers Dennis Klein vorgeführt.
„Ich weiß nicht, wie das ist.“
„Ich weiß nicht, wie das ist, im Zug Probleme beim Einsteigen zu haben oder im Supermarkt nicht an neu eingeräumte Lebensmittel zu gelangen.“ Die Tübinger Bürgermeisterin für Soziales, Ordnung und Kultur, Daniela Harsch eröffnete die Veranstaltung am Dienstag mit einer Rede. Sie sprach von dem, was in Tübingen im Bereich der Barrierefreiheit schon alles erreicht wurde, wie beispielsweise die Absenkung von Bordsteinen oder die Inklusion in Kitas und Schulen, dass aber auch noch viel zu tun sei. Immer wieder ließ sie ehrlich ihre persönliche Unsicherheit beim Thema Inklusion durchblicken, da sie schlichtweg nicht in der Situation der Bürger mit Behinderung sei und meinte, dass sie eben „nicht weiß, wie das ist“.
Der Film und seine Wirkung
Der Film begleitet die Reise des Tübinger Realschullehrers Dennis Klein, der für ein Jahr durch 23 Nationen weltweit reist, getrieben von der Frage, was Menschsein mit Behinderung zu tun haben soll. Ohne Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung zu haben, entwickelt Dennis Klein beim Aufwachsen eine Angst vor dem Anderssein dieser Menschen. Ausrufe wie „Du bist doch behindert“ sind Alltag. Seine Perspektive ändert sich, sobald er persönliche Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung macht. Es werden Aufnahmen von Jugendlichen auf einer inklusiven Freizeit gezeigt, die beim gemeinsamen Fußballspielen ihren Spaß haben. Dennis Klein meint, es sei dort komplett selbstverständlich, dass alle Teilnehmer gleichwertig sind. Doch sobald die Freizeit endet und man wieder zurück in der „realen Welt“ ist, sei doch alles anders.
Seine Reise führt ihn durch das afrikanische Lesotho, Indien, Guatemala, Neuseeland und viele weitere Nationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Verknüpfung von Behinderung und dem Leben in Armut, das oft menschenunwürdige Dasein, der Ausschluss aus der Gesellschaft… Oft trifft Dennis Klein Menschen, die ganz auf sich allein gestellt sind. Mädchen, die aufgrund ihrer Behinderung und dem Scham ihrer Familien noch nie das Haus verlassen haben.
Die Aufnahmen des Films berührten und erschreckten. Die gemischten Gefühle, die Dennis Klein offensichtlich selbst durchgemacht hat, übertrugen sich auf die Zuschauer. Gefühle der Betroffenheit, der Wut und der Ungerechtigkeit. Doch es wurde auch gelacht. Es gab auch Lichtblicke. Der Film zeigt wie Ehrenamtliche, die nicht vergeblich auf staatliche Hilfe warten wollen, Projekte starten, die Bildung und Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung zum Ziel haben. Die Aussage der Ehrenamtlichen ist klar: „Inklusion findet dort statt, wo man nicht darüber reden muss.“ Dort, wo es eine Selbstverständlichkeit ist.
„Kein Film kann die Welt verändern, aber…“
Zum Ende der Veranstaltung fand Dennis Klein selbst noch Worte zu seinem Film. Ihm sei es wichtig, dass man durch den Film seinen eigenen Umgang reflektiert. Der Film solle einen Prozess in den Zuschauern auslösen. „Kein Film kann die Welt verändern.“, erklärte er ganz realistisch, doch durch kleine Impulse könne viel Veränderung stattfinden.
Die Veranstaltung endete mit den Worten „Es ist normal, verschieden zu sein“, woraufhin Dennis Klein noch ergänzte, dass aber durch Begegnungen auch viele Gemeinsamkeiten der Menschheit entdeckt werden könnten.
Fotos: Maren Luithlen