Ein Hauch von Broadway, und das in Tübingen? Ganz genau, denn in den vergangenen zwei Wochen zog in Tübingen ein neues Musical die Aufmerksamkeit auf sich: „PIPPIN – Das Musical“ spielte im Theater Löwen in Tübingen. Premiere feierte es am 13. Juni und bot dem Publikum sehenswerte Kostüme, mitreißende Schauspielkunst und ein Repertoire an Songs, die man auch nach der Vorstellung noch vor sich hin summte. Ein Nachbericht.
Das ursprüngliche Musical „PIPPIN“ wurde 1972 im Imperial Theater in New York uraufgeführt. Mit der Produktion der Musical Academy Tübingen wurde zum ersten Mal die deutsche Version der neuen Broadwayfassung aus 2013 inszeniert.
Pippin als rastloser Träumer
Protagonist ist ein junger Mann, der auf dem Weg ins ‚echte‘ Leben nach Selbstverwirklichung und dem Sinn seines Lebens strebt. Angelehnt ist diese Handlung an die historische Figur Pippin der Ältere (773-810), ältester Sohn Karls des Großen. Während Pippin auf der Suche nach seinem erfüllenden Platz in der Welt ist, treten immer wieder Hürden auf, die ihm seinen Weg erschweren. Doch die Gauklertruppe und ihre Anführerin lassen sich immer wieder etwas Neues einfallen, damit Pippin schlussendlich doch an sein lang ersehntes Ziel gelangt. Die ganze Vorstellung hindurch wird der Zweiakter humorvoll und bunt inszeniert und bietet seinem Publikum eine rundum gelungene Bühnenshow, in der Gesang, Tanz und Schauspiel gleichermaßen zum Besten gegeben werden.
Hauptfigur Pippin, gespielt von Fabian Lang, hat sein Studium beendet und kehrt wieder zurück an den königlichen Hof seines Vaters, Karl der Große. Um herauszufinden, was ihm Erfüllung bringt, zieht er in den Krieg gegen die Westgoten. Doch schnell kristallisiert sich heraus, dass Pippin andere Vorstellungen von seiner Zukunft hat. Nachdem er herausfindet, dass ihn sexuelle Abenteuer ebenso nicht ausfüllen, ermutigt ihn die Prinzipalin, gespielt von Punita Müller, gegen den herrschenden Despotismus, sprich gegen seinen Vater zu kämpfen. Schließlich erdolcht Pippin seinen Vater und wird selbst zum König.
Doch hiermit ist er überfordert. Die Prinzipalin erfüllt ihm den Wunsch, seinen Vater wieder lebendig zu machen. Pippin weiß nach wie vor nicht, wie er sein Ziel erreichen soll – er bricht zusammen. Katharina, gespielt von Marie-Christin Baur, findet ihn und nimmt ihn mit zu sich auf den Bauernhof. Die junge Witwe lebt dort mit ihrem Sohn Theo, gespielt von Anton Wiese und Alexander Scherf. Pippin und Katharina verlieben sich ineinander, jedoch spürt Pippin schnell, dass ihm trotzdem etwas fehlt und verlässt sie wieder. Die Prinzipalin und ihre Gauklertruppe unternehmen einen letzten Versuch, aus Pippins Leben etwas Außergewöhnliches zu gestalten und überzeugen ihn vom Selbstmord. Gerade als er sich zum Sprung ins Feuer bereit macht, zweifelt er an der Tat und entscheidet sich schlussendlich doch für ein einfaches, aber glückliches Leben mit Katharina. Diese Wendung gefällt der Prinzipalin garnicht, da sie kein extravagantes Finale bietet, welches dem Publikum versprochen wurde. Pippin, Katharina und Theo werden Kostüme abgenommen und Schminke aus dem Gesicht gewischt, das Bühnenlicht wird reduziert und die Hälfte des bunten Bühnenbilds entfernt. Doch Pippin fühlt sich angekommen. Am Ende bleibt Theo auf der Bühne und singt einige Verse aus Pippins erstem Lied, in dem es darum geht, seinen eigenen Weg zu finden.
Alles nur im Kopf
Pippins persönliche Entwicklung im Stück kann vereinfacht als ‚Erwachsenwerden’ beschrieben werden. Als junger studierter Mann hat er den Luxus, alles aus seinem Leben machen zu können, und er möchte sich für ‚das Richtige‘ entscheiden. Die Illusion, es gäbe nur eine richtige Entscheidung für sein Leben, hat er tief verinnerlicht. Sie ist alles, was ihn antreibt. Was Pippin vernachlässigt, ist die Erkenntnis, dass der Weg zum Ziel auch schon Erfüllung und Freude bringen kann. Doch als er sich in Katharina verliebt und sich ihr hingibt, findet er seinen inneren Frieden. Außerdem merkt er, dass jeder Lebensweg seine Höhen und Tiefen beinhalten kann und man nur lernt, mit diesen umzugehen.
Pippin lässt sich sehr von der Prinzipalin samt Gauklertruppe beeinflussen und leiten, von denen er stets umringt ist. Diese Figuren benehmen sich, wie es Stimmen in unserem Kopf auch tun: Sie sagen uns, wir wären nicht gut genug, müssten noch höher hinaus oder vergleichen uns ständig mit anderen, sodass wir rastlos und unzufrieden werden. Das spektakuläre Ziel, das Pippin anstrebt, spielt sich also nur in seinem Kopf ab und ist somit wieder nur eine Illusion, über die er in seiner persönlichen Entwicklung stehen muss.
Die 4. Produktion der Musical Academy Tübingen
Doch wer sind diese Darsteller, die die Bühne für einige Minuten in ein Broadway-Theater verwandelten? Die Musical Academy Tübingen ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Tübingen. Der Verein wurde im Jahr 2012 mit dem Ziel gegründet, langfristig eine feste Musicalinstitution im Raum Tübingen zu etablieren, in der Musik- und Schauspielinteressierte die Chance haben, an Musicalproduktionen mitzuwirken. Jedes Jahr wird ein Musical inszeniert, womit „PIPPIN“ die vierte Produktion eines kompletten Musicals ist.
„Gruppenproduktion par excellence!“
Regisseurin Eftychia Charalampidou und Regieassistent Konrad Lenhard schwärmten von einer tollen Zusammenarbeit aller Mitwirkenden, von positiver Energie am Set und unerschütterlicher Motivation, eine tolle Show auf die Bühne zu bringen. Lenhard sprach von einer „Gruppenproduktion par excellence“, bei der jeder seinen Teil dazu beitrug und alle Freunde geworden sind. Auch wenn es diverse Gruppen für Bühnenaufbau, Maske oder Kostüme gab, haben die Darsteller sich mit ihrer Hilfsbereitschaft und ihren Ideen gegenseitig befruchtet, sodass ein professionelles, unterhaltsames und schönes Stück daraus entstand. Eftychia Charalampidou fügte hinzu, dass die Vorbereitungen und Proben zu „PIPPIN“ letzten September begannen und dank der tollen Truppe das knappe Zeitfenster produktiv gefüllt wurde. Regisseurin und -assistent waren sich einig, dass das Finale ihre Lieblingsszene darstellt und man allen Mitwirkenden den Spaß am Musical ansehen konnte.
Fotos: Marcel Kraibühler