Tübingen (12.11.14). Die renommierte Schriftstellerin Taiye Selasi eröffnet die diesjährige Tübinger Poetik-Dozentur. Eine Kosmopolitin über den Sinn der Frage „Where are you from?“ gibt literarische Antworten. Von Frank Schuhmacher.

Charmant, witzig und überaus eloquent eröffnet Taiye Selasi die Poetik-Dozentur in der Alten Aula. Der Saal ist gefüllt und gespannt, denn – so die Hauptorganisatorin Dorothee Kimmich – „man kann Taiye weder einer Nation, noch einem Kontinent, noch einer Sprache zuordnen.“ Sie ist Kosmopolitin. Die Fragen „Wo ist deine Heimat? Was ist deine Muttersprache?, kurz: „Where are you from?“ greifen ins Leere. Taiye Selasi gehört zu einer „neuen Generation von Autoren ohne Identitätskrise.“

Let’s talk about Africa. – You better don’t!

Eine „afrikanische“ Schriftstellerin will nicht über „Afrika“ reden. Taiye Selasi will nicht über „Afrika“ sprechen, weil Afrika aus mehr als 50 Staaten, hunderten Sprachen und unzähligen Geschichten und Kulturen geformt wird. Wir Europäer hingegen tappen immer in dieselbe Falle: Wir generalisieren. „Ebola ist in Afrika ausgebrochen!“ Sie reißt die Arme in die Höhe. Auf einer immaginären Karte Afrikas sieht man einen winzigen roten Flecken: „Ebola – not Ebola“ und deutet auf den riesen-großen Rest des Kontinents.

Warum vereinfachen wir alles, was mit Afrika zu tun hat?

Selasis Roman „Ghana must go“ heißt im Deutschen „Diese Dinge geschehen einfach so.“ Der Fischer-Verlag wollte jegliche Assoziation mit Afrika vermeiden. Im Gespräch mit ihrem Agenten war dies ein sehr ernsthafter Moment. Der Leser soll nicht an Afrika denken, so Selasi. Auf einer Buchvorstellung wurde sie in einen Zoo gebracht. Alles erinnerte an Safari. „Ihr lacht, aber mein Roman hat mit all dem nichts tun.“ Die Frage nach der Herkunft, so Selasi, ist ein „geopolitical game of power“. Unterschwellig klingen Fragen wie „Warum bist Du in meinem Land?“ und „Wann gehst Du wieder?“ ständig mit. Generalisierungen und Klischees helfen uns im Alltag in der komplexen Welt zurecht zu finden. „The problem of stereotyps are not, that they’ are untrue, but that they are incomplete.“

„In literature I discovered, where I belong to.“

Woher stammt also Taiye Salasi? Ihr Vater ist im heutigen Gahna geboren, ihre Mutter im heutigen Nigeria. Die Kolonien, in denen sie zur Welt kamen, sind untergegangen. Selasi selbst ist in Großbritannien geboren, lebte aber sehr lange in den USA sowie in Rom. „I’m coming from nowhere, my place of identity is utopia.“ Ihre zahlreichen Erfahrungen haben ihr gezeigt, dass Muttersprache und Vaterland unzureichend sind. In der Literatur hat sie ihre Heimat gefunden. „In literature I discovered, where I belong to.“

Die Termine zu den nächsten Abenden der Poetik-Dozentur unter:

http://www.uni-tuebingen.de/fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/neuphilologie/deutsches-seminar/abteilungen/neuere-deutsche-literatur/tuebinger-poetik-dozentur.html

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