Am vergangenen Donnerstag lieferten sich acht junge Wortjongleure einen heißen Wettkampf um den begehrten Siegertitel des Abends. Amnesty International konnte sich als Veranstalter des Poetry Slams über einen überraschend großen Besucheransturm freuen. Zulässige Hilfsmittel im Battle waren alle selbstkreierten und geistreichen Texte frei nach dem Motto „Erlaubt ist, was gefällt!“.
Donnerstagabend in der Mühlstraße. Wir befinden uns mitten in einer großen Menschenmenge vor Tübingens beliebtestem Wohnzimmer. Es herrscht eine entspannte Stimmung – vermutlich ein Mix aus Wochenend-Euphorie und Affinität zu Poetry. Die Zuschauer dürfen sich darauf freuen, sich von kreativen Texten über Menschenrechte berieseln zu lassen. Moment mal! Diese ernste Thematik kombiniert mit abendlichem Entertaining? Na klar doch! An dem verheißungsvoll klingendem Ort namens Ribingurũmu ist (fast) alles möglich, wie sich im Verlauf des Abends zeigte.
Reines Gewissen to go ?
Titelanwärter Philipp enttarnte „global und sozial verträgliches Verhalten“ als eine Frage des Geldbeutels statt des persönlichen Willens. Die Kritik galt dabei zum einen den realitätsfernen Massenkonsumenten, die von Kinderarbeit und Ausbeutung nichts gehört noch gesehen haben wollen. Zum anderen galt sie den „Porsche-Hybrid-fahrenden“ Gelegenheits-Hipstern, die sich mit teuren Titeln, wie Veganer oder Öko-Liebhaber, ihr Gewissen rein-kaufen. Beiden scheint es an moralischer Integrität zu mangeln, während es den Integersten von uns am nötigen Kleingeld fehlt.
„Es ist leicht zu hassen.“
Bemerkenswert viele Teilnehmer beschäftigten sich mit dem besorgniserregenden Zuwachs fremdenfeindlicher Gruppierungen in Deutschland. So verurteilte Teilnehmer Dustin den gesellschaftlichen Missstand scharf als „Schande“ für unser Land. Statt den leichten und zugleich irrationalen Weg des Hasses zu gehen, ermutigte er die Anwesenden sich bewusst für die lohnenswerte Nächstenliebe zu entscheiden.
Außerdem riet Gewinner Till verängstigten Hass-Befürwortern, von denen panische Ausrufe wie „Minarette sich wer kann!“ stammen, lieber mal „auf dem Teppich“ zu bleiben. Eloquente Wortspiele wie diese katapultierten Till im späteren Finale mit tosendem Publikumsapplaus auf das Siegertreppchen. Er lobte die Freiheit als wertvolles Menschenrecht und appellierte an alle, diese auch sinnvoll zu nutzen, statt sich Gruppen wie der „Sauercrowd“ anzuschließen.
„Hoffnung ist ein Teil von uns.“
Den mit Abstand poetischsten Beitrag lieferte an diesem Abend aber Slammer Manuel. Er machte auf ungeschönte Weise auf die Kluft zwischen Industrie- und Dritte-Welt-Ländern aufmerksam. Gleichzeitig bedauerte er von Herzen die Nichtigkeit und die Schwäche des menschlichen Tuns. Bei diesen Worten wurden die Gesichter deutlich nachdenklicher und ernster.
Doch die gedrückte Stimmung wurde vom Redner schon nach kurzer Zeit mit optimistischeren Worten gehoben. Er sah trotz allen Widrigkeiten eine Chance auch als Einzelkämpfer etwas „Wärme in die „abgekühlte Gesellschaft“ zu bringen. Daraufhin beendete er seinen Auftritt mit den emotionalen Worten: „Solange ich lebe, brennt in der Dunkelheit mindestens ein Licht.“
Zweifelsohne bescherten die Slammer den Tübingern einen unterhaltsamen und zugleich nachdenklichen Abend. Doch am Ende stellt sich die Frage: War es die Macht der Worte oder die Worte der Macht, die unseren Blickwinkel auf die Welt um ein paar Grad (oder vielleicht sogar um 180°) verschoben hat? Auf der einen Seite die bewundernswerte Fähigkeit mit Worten zu jonglieren als wären es federleichte Bälle. Auf der anderen die nackte Präsenz der Worte – Worte, die fast alle Menschen tagein tagaus, teils bewusst teils unbewusst beschäftigen.
Fotos: Ines Fink