Aufmerksamen Fußgängern oder fleißigen Busnutzern sind sie mit Sicherheit schon oft aufgefallen: Die kleinen Symbole, die neben den Liniennummern die Busse in Tübingen markieren. Wir haben nachgeforscht, was es mit den Symbolen auf sich hat und warum hinter ihnen weit mehr steckt als reine Dekoration.
„So Schatz du setzt dich jetzt jetzt in die Kaffeetasse, dann steigst du am Nonnenhaus in den Regenschirm um und fährst nochmal vier Stationen.“ So in etwa könnte eine Mutter ihr Kind auf den Weg schicken, wenn der Nachwuchs in Tübingen unterwegs ist. Denn die Orientierung im Liniennetz der Busse funktioniert hier ein bisschen anders als in den meisten Städten. Zusätzlich zu den Nummern, hat jede Linie ein Symbol, das sie von den anderen unterscheidet. Auf der Linie 8 befindet sich beispielsweise eine Kaffeetasse, Linie 1 ziert eine sitzende Katze und Linie 17 eine Glühbirne.
Orientierung durch den Mann mit Hut
Die kleinen Bilder sind nicht nur zur Dekoration da, sondern Teil eines Inklusionsprogramm der Stadtwerke Tübingen. Der Fachbegriff für sie lautet Zielbandsymbole. Menschen, die Probleme beim Lesen haben, Kindern oder Geflüchteten fällt es durch die Symbole leichter sich im Busverkehr zu orientieren. Im Internet kann man sich kostenlos kleine Hilfskarten bestellen, die anzeigen welches Zielbandsymbol zu welcher Linie und welchen Haltestellen gehört. Des Weiteren steht an jeder Endhaltestelle eine Figur, die das Symbol der Linie darstellt. Ziel der Symbole ist es, dass so viele Menschen wie möglich sich selbstständig in den öffentlichen Verkehrsmitteln zurechtfinden können, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
Die treibende Kraft hinter der 1997 initiierten Aktion ist Elvira Martin vom Forum & Fachstelle Inklusion Tübingen, welche unter anderem auch die Abstimmung mit den Zielgruppen maßgeblich vorangebracht hat. Die Auswahl der passenden Symbole war nämlich nicht in allen Fällen eine willkürliche Entscheidung, sondern ein längerer Prozess nach verschiedenen Kriterien.
Im Philosophenweg geht ein Licht auf
Was hat eine Kaffeetasse mit der Linie 8 oder ein Fußball mit der Linie 3 zu tun? Die Mitarbeiter der TüBus Abteilung der Stadtwerke erklären: „Zwischen manchen Linien und deren Symbolen kann man tatsächlich einen Zusammenhang entdecken, jedoch nicht bei allen. Beispielsweise hat die Linie 7 das Eichhörnchen als Wappentier von Pfrondorf. Die Linie 3, der Ball, führt an beiden Endpunkten zu Sportplätzen. Die Linie 5 mit Krankenhaussymbol fährt an den Krankenhäusern vorbei. Die Glühbirne der Linie 17 wurde ausgewählt, weil die Linie durch den Philosophenweg fährt.“
Es ist mit Sicherheit keine leichte Aufgabe 24 verschiedene Symbole zu finden, die weder zu niedlich noch zu komplex oder einander ähnlich sind, zumal auch die technischen Möglichkeiten Grenzen setzen.
Erfolgsgeschichte und Vorbildcharakter
Zur Bilanz haben die Stadtwerke nur positives zu berichten. Nicht nur von den Personen aus den Zielgruppen, sondern auch von allen anderen wurden die Symbole gut aufgenommen. Im Laufe der Zeit sind nicht nur mehr Ideen, Symbole und Farben sondern auch hochwertigere Anzeigen hinzugekommen, die das Programm perfektionieren und die Orientierung im Busverkehr erleichtern. Mittlerweile gibt es die Zielbandanzeigen nicht nur in Tübingen, sondern auch in einigen anderen Städten. So funktioniert Inklusion ohne viel Wirbelwind und Komplexität.
Ein weiterer Vorteil: In üblen Prokrastinationsphasen könnte man in Tübingen auch Bus-Bingo spielen. Dazu folgende Symbole in ein leeres Gitter eintragen und einfach für eine Weile auf die Neckarbrücke setzen. Welche Busse kommen zuerst vorbei?
Das Tübinger Bus-Bingo
Kommt die Katze um die Ecke, fährt das Haus heran oder rollt der Ball schneller? Ist es das rasende Ahornblatt, das Kreuz auf vier Rädern oder die Tanne? Vielleicht gewinnt auch das flinke Eichhörnchen, die immer pünktliche Kaffeetasse oder das schwankende Schloss? Unwahrscheinlich siegen der gemütliche Hahn, die verirrte Kerze oder die wartende Birne, aber wer weiß das schon?
Der brausende Elefant ist auch gut aufgestellt, im Koffer wird gerade noch eine Durchsage gemacht, während die Leute im Glas schon bald am Ziel sind. Im Regenschirm sitzt eine laute Schulklasse, in der Glühbirne müde Studenten und in der Kirche muntere Rentner: Wer kommt zuerst ans Ziel? Favoriten sind sicher der brausende Briefumschlag, der rund um die Uhr bereite Mann mit Hut und die rollende Schere. Auch zu empfehlen ist auf den fröhlichen Fisch zu setzen oder den herannahenden Halb-Mond und die eilige Ente zu favorisieren.
Fotos: Joshua Wiedmann