„Tübingen darf nicht zu einer Stadt für Reiche werden"

Man kann wohl behaupten, dass Boris Palmer mittlerweile aus dem Schatten seines Vaters getreten ist – zumindest wenn es um den Bekanntheitsgrad geht. Zwischen all seinen täglichen Verpflichtungen als Oberbürgermeister fand er dennoch Zeit für ein Interview. Die Abschaffung des Nacht-SAMs, Studiengebühren und Wohnungsnot – was hat er dazu zu sagen? Teil 1 unseres Interviews. 

In ganz Tübingen wird momentan gebaut. In der Wilhelmsstraße etwa oder in der Neckargasse. Wie steht es denn um die Pläne, in Tübingen eine Straßenbahn zu installieren?

Dieses Erweiterungsprojekt teilt sich in zwei Teile. Zum einen wollen wir die vier Bahnstrecken, welche nach Tübingen laufen – das wären die Strecken von Rottenburg, Mössingen, Reutlingen und Herrenberg – ausbauen. Das heißt, die Züge werden elektrifiziert und es werden neue Haltestellen hinzukommen, sodass es S-Bahn-ähnliche Verbindungen geben wird. Zudem möchten wir eine Bahnerweiterung zu den Kliniken hochlegen. Soll heißen, es werden Gleise gelegt durch die Züge von außerhalb durch die Stadt hindurch zu den Kliniken fahren können. Allerdings wird es dabei vermutlich auf einen Bürgerentscheid hinauslaufen, da die Innenstadtstrecke allein 100 Millionen Euro kosten wird.

Wie steht es um den Schiebeparkplatz bzw. um die Bebauungspläne des Botanischen Gartens?

Die Pläne rund um den Botanischen Garten sind schon vom Tisch. Der Schiebeparkplatz kommt jedoch auf jeden Fall weg, da die Universität Platz für Erweiterungen wie etwa für das Leibniz-Institut braucht. Zudem wird dort dann auch ein so genanntes Boarding-Haus hinkommen, das für ausländische Studierende gedacht ist. Baubeginn wird vermutlich in zwei Jahren sein. Der Wegfall des Schiebeparkplatzes passt dann auch gut mit dem geplanten Ausbau des Nahverkehrs zusammen. Und wenn es darauf hinausläuft, dass ich irgendwo außerhalb der Stadt ein Park-and-Ride mache und dann mit dem sehr, sehr günstigen Semesterticket in die Stadt reinfahre.

Es gab zudem eine Debatte über die Abschaffung des Nacht-SAMs. Wie wird es nun damit weitergehen?

Wir haben gerade beschlossen, dass die Nachtbusse von nun an sieben Tage die Woche fahren werden – unter der Woche bis vier und an den Wochenenden bis fünf Uhr morgens. Gleichzeitig soll das SAM deutlich teurer werden um einen Anreiz zu schaffen den Bus zu benutzen. Nach einem Jahr Testphase entscheiden wir dann, ob das SAM weiterhin beibehalten wird oder nicht. Wir möchten keine städtische Konkurrenz zu den normalen Taxiunternehmen sein.

Ab kommendem Semester wird es Studiengebühren für internationale Studierende an Universitäten in Baden-Württemberg geben. Wie stehen Sie dazu? 

Ich persönlich halte das in Australien praktizierte „HECS“-System für richtig. Dabei müssen die Studierenden nicht sofort bezahlen, sondern bezahlen mit einer Art Kreditsystem – wenn sie denn dann später arbeiten gehen und gut verdienen. Die Debatte rund um die Studiengebühren für ausländische Studierende halte ich für ideologisch überhöht. Tatsache ist, dass wenn Deutsche im Ausland studieren, sie ebenfalls die dortigen sehr hohen Studiengebühren bezahlen. Und das hält sie und mich ja auch nicht davon ab ins Ausland zu gehen. Ob das jetzt politisch klug ist gegen so viel Widerstand ziemlich wenig Geld reinzuholen steht auf einem anderen Blatt.

Und was sagen Sie zur Wohnungsnot in Tübingen?

Wir versuchen, so gut wie möglich gegenzusteuern. Das heißt, es wird mehr gebaut als vorher – etwa beim Güterbahnhof – und wir versuchen Wohnungen preisgebunden zur Verfügung zu stellen bzw. das Finanzierungsangebot vom Land zu nutzen um Sozialwohnungen zu bauen. Betroffen sind dabei nicht vorrangig die Studierenden, sondern vor allem Familien mit wenig Einkommen. Die Kaufkraft von drei oder vier Studierenden ist höher als die einer jungen Familie. Tübingen darf nicht zu einer Stadt für Reiche werden.

Titelfoto: Paul Mehnert

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