Die mediävistische Abteilung der Universität Tübingen veranstaltete am Samstag den „Tübinger Mittelaltertag“
Die Tübinger Mittelalterforschung hat am Samstag zum „Tübinger Mittelaltertag“ in den Pfleghof eingeladen. In verschiedenen Vorträgen und Workshops wurden dem Besucher eine große Bandbreite an Themen nahe gebracht, die sonst überwiegend der historischen Forschung vorbehalten sind.
von Katharina Spitz
Eine Vielzahl von Stimmen und Gesprächsfetzen quellen einem entgegen, wenn man das Pfleghofgebäude mit der Hausnummer zwei betritt. Es ist gerade Kaffeepause, die die Teilnehmer zum Austausch über das Gehörte und darüber hinaus nutzen.
„Die Keule hat die Funktion des Baseballschlägers der heutigen Hooligans“
In einer Ecke des Foyers fertigen Kinder Tonsiegel mit selbst gestalteten Wappen an, die, mit einem Wollbändchen aus königlichen Farben versehen, ihren royalen Charakter erhalten. Außerdem liegt ein Berg von Buntstiften und Mandalas mit mittelalterlichen Motiven auf dem Tisch, einige davon sind bereits ausgemalt.
Ein Stockwerk höher finden in den Seminarräumen des musikwissenschaftlichen Instituts die angebotenen Vorträge und Workshops statt. Die Referenten haben für den heutigen Tag ihre Fachgebiete in eine anschauliche Form gegossen und bringen den Besuchern ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Mittelalter näher. Dabei wird schnell klar, dass nicht nur die dürftige Quellenlage, sondern auch konzeptuelle Fragen zum Problem werden können, da Begriffe wie zum Beispiel „Sexualität“ erst ab dem 16. Jahrhundert verwendet wurden.
„Man musste eine Schafherde massakrieren, um einen Text wie diesenabschreiben zu können“
Es offenbart sich dem Besucher eine in mehrfacher Hinsicht fremde Welt, um die sich ein Mythos des Rätselhaften rankt. So ist nicht nur das Ausmaß damaliger kriegerischer Auseinandersetzung um Throne und Territorien aus heutiger Sicht nur schwer zu begreifen. Auch der berufliche Alltag etwa eines Schreibers oder Illustrators, der mit der Abschrift großer Werke betraut ist, scheint ob des zeitlichen und materiellen Aufwands kaum noch vorstellbar: man musste faktisch „eine Schafherde
massakrieren, um einen Text wie diesen abschreiben zu können“, erläutert Dr. Max Grosse in seinem Workshop über Liebe und Sexualität im altfranzösischen Rosenroman.
„Der Liebesgott ist nicht der kleine fette Putto, der die Venus umflattert“
Er gibt außerdem Einblicke in die Ikonographie des Mittelalters, die ganz anderen Prinzipien gehorcht als die der nachfolgenden Epochen. In seinen Erläuterungen sucht er die Bildhaftigkeit des 13. Jahrhunderts stets auf die Moderne und das damit verbundene Kunstverständnis zurückzuführen. So war im Mittelalter der Liebesgott nicht dargestellt als „der kleine fette Putto, der die Venus umflattert“, und die Abbildung einer Keule im Rosenroman steht symbolisch für „die Funktion des Baseballschlägers der heutigen Hooligans“.
Der Mittelaltertag der Universität Tübingen hat den Besuchern in einem freundlichen und angenehmen Rahmen interessante Einblicke in die unterschiedlichsten Lebensbereiche einer Epoche gegeben, die mit unserer heutigen Lebenswelt nicht mehr viel gemein haben. Ein Ziel der Veranstaltung war, die wissenschaftlichen Inhalte einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen – die Gefahr, dem akademischen Kontext verhaftet zu bleiben, ist bei solch spezifischen Themen jedoch groß und
konnte von den Vortragenden nicht immer gemeistert werden.