Es ist nicht immer leicht eine Mutter zu sein, vor allem wenn das Kind ein wenig mehr Probleme hat als nur die Pubertät. Der junge Regisseur Xavier Dolan verpackt eine Mutter-Sohn-Beziehung und das Thema Freundschaft kunstvoll in die Geschichte von Diana (Anne Dorval), Steve (Antoine Olivier Pilon) und Kyla (Suzanne Clément).
Der mit dem „Jury Preis“ des Festival de Cannes 2014 gekrönte Film „Mommy“ wurde erstmals im Rahmen der Französischen Filmtage in Tübingen präsentiert und ist ab dem 13. November 2014 in den deutschen Kinos zu bestaunen.
„Ihr Hintern riecht nach Rosen“, kommentiert Steve sein erstes Treffen mit seiner neuen Nachbarin Kyla. In seinen Augen ist sie ein wenig verkrampft und spießig, der Beruf ihres Mannes fasst ihr Leben wohl recht gut zusammen: Er ist Programmierer. Alles in ihrem Alltag ist vorprogrammiert, geordnet und hat ein System. Sie hat eine höfliche Tochter, die brav ihre Schulaufgaben erledigt, das Essen steht immer pünktlich auf den Tisch. Nur sie scheint nicht mehr richtig zu „funktionieren“, ihren Beruf als Lehrerin kann sie wegen ihrer Sprachstörungen nicht mehr wahrnehmen.
Zwischen guter Mutter und schlechtem Vorbild
Überquert man die Straße und betritt das gegenüberliegende Haus, so trifft man auf eine andere Welt. Es ist nicht abgespült, riecht nach Zigarettenrauch und laute Musik lässt die Wände wackeln. Diana ist hübsch, wenn auch der Rock ein wenig zu kurz und die Farbwahl der Fingernägel ein wenig zu grell ist. Sie ist laut und bringt durch ihre raue, direkte Art den Zuschauer zum Lachen. Trotz ihres reifen Alters spricht sie wie ein Mädchen aus der Gosse und wirft mit einer Vielzahl von Schimpfwörtern um sich. Sie ist stolze Mutter von Steve, hat es aber seit dem Tod ihres Mannes alles andere als leicht.
Dieser lässt auch Steve nicht kalt. Seine „Mommy“ und er sind die Überbleibenden, ein Team gegen den Rest der Welt. Er hat blonde mittellange Haare, eine Frisur die man im Alter von 15 Jahren eben trägt, nicht unsympathisch. Mit seinem charmanten Lächeln verzaubert er nicht nur seine Mutter. Auf sie projiziert er seine ganze Liebe. Alles könnte so schön sein, eine kleine heile, wenn immer auch eine wenig chaotische Geschichte.
Eskalation pur
Doch dann rastet Steve aus. Der Glastisch im Wohnzimmer geht zu Bruch. Schuld daran ist nicht nur seine Krankheit, ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung), sondern auch das Missverständnis mit seiner Mutter. Er fühlt sich nicht respektiert und zu Unrecht beschuldigt. In diesem Moment verliert nicht nur er, sondern auch Diane die Kontrolle über ihn. Die Situation eskaliert komplett, Steve verletzt sich, Diane ist verängstigt und verzweifelt. Hier treffen die drei Protagonisten das erste Mal aufeinander. Kyla bekommt den Streit mit und verarztet Steve.
Alle drei entwickeln eine interessante Beziehung zueinander, jeder von ihnen profitiert auf eine andere Weise: Kyla gefällt die lockere und ungezwungene Atmosphäre im Haus, findet ihr Lachen und selbst ihre Sprache wieder. Steve profitiert von ihren Fähigkeiten als Lehrerin, entwickelt Ziele, Träume und Visionen. Diana wird dadurch in ihrer Aufsichtspflicht entlastet und kann wieder arbeiten gehen. Man sieht die drei tanzen, singen, Fahrrad fahren, lachen. Sie scheinen einen entspannten lockeren Alltag zu teilen, doch Steves Unberechenbarkeit bleibt und bringt Diana immer wieder an ihre Grenzen. Ihr Sohn ist ihr ein und alles, ihre Liebe beständig, doch als Steve aufhört dies zu glauben, wird sie vor eine (folgen-)schwere Entscheidung gestellt.
(K)ein Film zum Wohlfühlen
Dolan und sein Kameramann André Turpin schaffen eine emotionale Achterbahn, geführt durch unpopuläre Aufnahmeperspektiven und bewegender Musik. Die Bilder sprechen mehr als die Figuren. Sie lassen am Geschehen durch viele Nahaufnahmen direkt teilnehmen. Durch die legere Sprachwahl und das Gefluche hat der Film, trotz der ernsten Thematik, oft etwas Humorvolles an sich. Es empfiehlt sich den Film in Originalsprache und direkt im Kino zu begutachten, da ansonsten der Effekt von Bild, Musik und Sprache, welches den Film so besonders macht, nicht optimal vermittelt werden kann.