Aus Propaganda wird Kunst

„Medienkonvergenz und Propaganda“ war das diesjährige Motto der Tübinale im ausverkauften Kino Museum. 17 Teams, bestehend aus Studierenden der Medienwissenschaft, setzten sich in eigens produzierten Kurzfilmen mit dem Thema auseinander. Zehn Filme gab es schließlich am Montag zu sehen.

Fake-News, alternative Fakten und die gegenwärtigen politischen Ereignisse zeigen, wie aktuell das Motto der Tübinale ist. Die Bundeszentrale für politische Bildung versteht unter Propaganda den Versuch der gezielten Beeinflussung des Denkens, Handelns und Fühlens von Menschen. Mit diesen Aspekten setzten sich die gezeigten Filme auf unterschiedliche Art und Weise auseinander: Ana behandelt Magersucht als Ergebnis medialer Schönheitsbilder und von Eigendynamiken in Diät-Foren. Um Ernährung geht es auch in Die Pille, wo Daten über menschliche Ernährung an den Staat geschickt werden, bis ein Hacker schließlich alle Diagnosen durcheinanderbringt.

The Uncanny Valley imaginiert eine Welt, in der Virtual Reality omnipräsent ist und aus immersiven Spielen schnell ein Militärtraining für die „VR-My“ wird. Um Manipulation via Internet im Kampf um die große Liebe geht es in Hacker ohne  Scham—ein Film, den man abseits der eigenen Moralvorstellungen betrachten müsse, so das Team „Mindscrew Production“. Die erste Hälfte beendete Rechtsklick, der von rechter Radikalisierung durch die Filterblase in sozialen Medien handelt—eine Filterblase, aus der auch der zur Recherche angelegte Fake-Account des Teams nicht mehr herauskam.

Das Team „The Magnificent Four“ im Interview mit Moderatorin Theresa Krampfl. Ihr Film „The Tide“ kommt ohne Dialoge aus. „Wir haben versucht auf Bildsprache zu setzen“, so das Team.

Theorie und Entertainment

Durch den Abend führte das immer zu einem trockenen Witz aufgelegte Moderationsduo Theresa Krampfl und Jens Amschlinger. Schon im selbstproduzierten Vorspann stimmten sie auf das Thema Propaganda ein. Schlagzeilen berichten von Donald Trumps Begeisterung über die Tübinale, schließlich heißt es: „Hollywood Hills adé, Österberg hallo!“ Um das Publikum auch in der Pause bei guter Laune zu halten, gab es eine Fotobox und einen Wulle-Bus.

Doch wie es sich für eine universitäre Veranstaltung gehört, zählte auch ein theoretischer Input zum Abendprogramm – eine Trockenübung für das Publikum. Studierende aus einem Master-Seminar zu Medienkonvergenz und Propaganda erklärten in einem kurzen Vortrag, wie Propaganda und Populismus wirken und wo es Unterschiede zwischen den beiden gibt. Sie forderten das Publikum dazu auf, Schlagzeilen und politische Aussagen kritisch zu hinterfragen, in welchen populistischen Aussagen sich Propaganda finden lässt.

Die kühle Erfrischung für zwischendurch: In der Pause war der Wulle-Bus neben der Fotobox ein kleines Highlight.

Ideologie und Youtube

Radikale Ideologien prägen auch die zweite Hälfte. Forsaken zeigt den Weg vom Gemeinschaftsversprechen radikaler Gruppen bis hin zum Terroranschlag. Lie Lie Land zeigt mit kammerspielartiger Visual Comedy eine stilisierte Diskussion am Kaffeetisch über Donald Trumps „alternative Fakten“. Star des Films: Hund Bailey mit seinem eigenen Instagram-Account. Aufgrund technischer Probleme mit dem Ton gab es den Film zweimal zu sehen. Höchstaktuell ist IDOL, der die Produktwerbungen von Beauty-YouTube-Channels kritisiert und mit kreativen Montagetricks punkten konnte. ELLE, in dem ein omnipräsentes Werbemodel zur Liebesfantasie des Protagonisten wird, bestach durch professionelle Kameraarbeit und Drohnen-Aufnahmen.

Besonders auffällig war hier bei der Teamvorstellung der stärkere Personenbezug mit Szenen hinter den Kulissen. Solche Ausschnitte gab es von keinem anderen Team im Einspieler zu sehen — Propaganda etwa bei der Tübinale? Den Abschluss machte The Tide, ein Film über Paranoia durch Propaganda und Verfolgung in ideologischen Gruppen.

Die „Pink Fluffy Unicorns“. Die Idee für den Teamnamen stammt übrigens nicht von den beiden Studentinnen der Gruppe.

Sad Robots holen die Trophäe

Vor der Siegerehrung gab es noch den Gewinnerfilm der Magdeburger Videoexpo 2016 zu sehen — die große Schwester der Tübinale. Denn sie wissen nicht, was sie tun steht dem Thema Propaganda durch seine Hauptfigur nahe: ein Internet-Troll, der den ganzen Tag Leuten in sozialen Medien mit bösartigen Kommentaren das Leben zur Hölle macht.

Doch nicht nur die Jury bestimmte im Vorfeld die Sieger: das Publikum durfte seinen Liebling wählen. Den Titel verdiente sich ELLE vom Team Dåmage Visuals. Den dritten Platz der Jury-Bewertung durfte Team Hälla mit IDOL mit nach Hause nehmen—mit Grüßen an Bibi‘s Beauty Palace. Deep Focus wurden zweite mit Rechtsklick. Die große Trophäe für den ersten Platz ging an die SadRobots und The Uncanny Valley.

Die Siegerinnen Hristina Zhelyazkova und Lea Wang holten sich den ersten Platz, auch ganz ohne filmische Vorerfahrung.

Die Grundidee für den Siegerfilm hatten Lea Wang, Hristina Zhelyazkova und die abwesende Sabrina Stehlik durch einen Besuch auf der Comic Con, bei dem sie VR-Brillen testen konnten. Um ihre Spezialeffekte umzusetzen, recherchierten sie lange in YouTube-Tutorials,  einige Kostüme sind aufwendig handgearbeitet, für eine Kampfszene ging es in die Stiftskirche—ein Projekt mit Herzblut. Moderator Jens Amschlinger ist überzeugt, dass die Tübinale von Jahr zu Jahr nur besser wird. Sein Resümee: „Wir sind ziemlich kaputt, aber jede Minute hat sich gelohnt.“

Wir waren für euch live dabei und haben ein bisschen Twitter-Propaganda betrieben. Hier findet ihr Impressionen vom Abend, Statements der Filmteams, Videoauschnitte und mehr.
Fotos: Joshua Wiedmann

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