Durch ganz BaWü mit einem Ticket?

Wie wäre es, 12 Euro mehr im Monat zahlen zu müssen, dafür aber ab Feierabend und an Wochenenden den Nahverkehr in ganz BaWü nutzen zu können? Fairer Deal oder Verlustgeschäft? Niklas Anner ist Sprecher der LandesAstenKonferenz zum Thema Semesterticket und war am vergangenen Dienstag in Tübingen, um Werbung für ein landesweites Semesterticket zu machen. Wir haben mit ihm gesprochen.

Bis zu 65 Euro mehr im Monat könnte das landesweite Semesterticket Tübinger Studierende kosten, falls sie sich für die teuerste von drei Optionen entscheiden – dafür könnte man aber auch zu jeder Zeit den Nahverkehr in ganz Baden-Württemberg nutzen.

Die Umfrage der Landesstudierendenvertretung Baden-Württembergs zu dem Ticketvorschlag läuft noch bis Sonntag, den 29. April. Ende dieses Semester soll darauf eine Urabstimmung folgen. Entscheiden sich mindestens zwei Drittel aller teilnehmenden Studierenden dafür, könnten Verkehrsverbünde und Deutsche Bahn das neue Modell schon ab dem Sommersemester 2019 anbieten.

Was für Auswirkungen hat die aktuelle Umfrage auf das neue Semesterticketmodell?

Das Modell steht fest, darüber ist erstmal keine weitere Verhandlung angesetzt. Wir wollen aber die Ergebnisse der Umfrage nutzen, um nach einer möglichen Einführung weiter zu verhandeln und das System zu optimieren.

Wer würde vom neuen Modell profitieren und wer nicht?

Autofahrer auf jeden Fall nicht. Profitieren würden vor allem Wochenendpendler, die könnten freitags ab 18 Uhr nach Hause fahren und sonntags zurückfahren, ohne sich ein Ticket zu kaufen. Mit dem landesweiten Semesterticket kämen meistens die Leute günstiger weg, die bisher Anschlusstickets in andere Verbünde nutzen. Vor allem wenn es ins Gebiet des Stuttgarter Verkehrsverbundes geht, wo das Anschlussticket sehr teuer ist.

Ich glaube, dass die Studierenden in Tübingen zu denen gehören, die am meisten von dem Ticket profitieren würden, aufgrund der geographischen Lage und des relativ niedrigen Naldo-Ticketpreis.

Drei verschiedene Optionen bietet der Vorschlag für das Semesterticket, für den Niklas Anner am Dienstagabend bei der Vollversammlung im Kupferbau wirbt.

Wie waren die bisherigen Reaktionen der Studierenden?

Ende letzter Woche hatten schon über 10 000 Leute an der Umfrage teilgenommen. Ansonsten haben wir viele Rückmeldungen per Mail bekommen. Oft kam die Frage, warum es so teuer ist.

In Nordrhein-Westfalen können Studierende an bestimmten Hochschulen schon ab 160 Euro ein landesweites Semesterticket bekommen. Warum ist ein landesweites Semesterticket hier in Baden-Württemberg so viel teurer?

In Nordrhein-Westfalen gibt es deutlich weniger Verkehrsverbünde. Hier in Baden-Württemberg haben wir mit über 20 Verkehrsverbünden gleichzeitig zu tun, die ja alle für sich wirtschaften und alle ihre Interessen durchsetzen wollen.

Man merkt eben, dass in NRW von allen Verhandlungspartnern der Wille da war, möglichst viele Studierende dazu zu bringen, das Angebot vom vollsolidarischen Modell dort zu nutzen. Bei uns ist man da mit einer anderen Mentalität rangegangen.

Der Vertrag soll auf vier Jahre befristet sein, nach zwei Jahren soll es von allen Vertragspartnern aber eine Bewertung geben. Könnt ihr den bisher kalkulierten Preis für die ersten vier Jahre garantieren?

Der Preis ist vertragstechnisch an das Baden-Württemberg-Ticket gebunden. Wird das BW-Ticket teurer, dann verteuert sich das Semesterticket um genau so viel Prozent.

Eine Steigerung von wenigen Euro beim Baden-Württemberg-Ticket könnten ja schnell eine Preiserhöhung von 15 bis 20 Prozent ausmachen. Enthält der Vertrag einen Kontrollmechanismus, um so eine starke Preissteigerung zu begrenzen?  

Es gibt keinen direkten Kontrollmechanismus. Wir gehen aber davon aus, dass eine Preissteigerung von 20 Prozent innerhalb von einem Jahr auch nicht im Interesse der Bahn ist, weil wir nach spätestens zwei Jahren sagen würden, dass wir den Vertrag unter solchen Bedingungen nicht fortsetzen werden.

Würde eine Preiserhöhung auch auf den verpflichtenden Solidarbeitrag umgelegt?

Sollte sich der Preis erhöhen, würde das auch anteilsmäßig auf den Solidarbeitrag verteilt werden.

Die Kampagne für das neue Semesterticket ist im vollem Gange. Ob die Studierenden das auch wollen, ist noch unsicher.

Wieso hat sich die LAK 2013 gegen ein vollsolidarisches Modell entschieden, also gegen ein Modell, bei dem alle den gleichen Betrag zahlen müssen?

Weil die Preise zu hoch waren. Das war nicht vergleichbar mit NRW. Die LAK hatte mehrheitlich entschieden, dass es den Studierenden nicht zuzumuten ist, diesen Beitrag verpflichtend zu zahlen. Deswegen war es uns ja auch wichtig, beim jetzigen Vorschlag den Solidaritätsbeitrag so gering wie möglich zu halten.

An den Verhandlungen beteiligt waren auch das Landesministerium für Verkehr und das Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Welche Rolle hatten die?

Ich selbst war an den Verhandlungen nicht beteiligt. Nach den Erzählungen habe ich aber nicht den Eindruck, dass sie sich stark auf eine der beiden Seiten geschlagen hätten.

Sie haben quasi gesagt: „Wir halten uns da raus, würden ein landesweites Semesterticket aber gut finden.“

Wie schätzt du die Chancen für das landesweite Semesterticket ein?

Wenn es um Geld geht, ist es immer schwierig. Ich glaube aber, dass eine realistische Möglichkeit besteht, dass es umgesetzt wird. Ich persönlich würde es auf jeden Fall nutzen. Aber ich verstehe auch die Leute, die sagen, für mich ist es zu teuer. Wenn wir wirklich diese zwei Drittel Mehrheit erreichen sollten, dann nur sehr knapp. Ich bin gespannt.

Die „Promo“-Tour für das Ticket führt Niklas Anner auch nach Tübingen. Doch selbst in der grünen Kleinstadt gibt es zahlreiche skeptische Stimmen gegenüber dem Vorschlag von LAK, Deutscher Bahn und den Verkehrverbünden.

Und was sagen die Tübinger*innen?

In der Studentischen Vollversammlung am Dienstagabend wurde der Vorschlag  heftig diskutiert. Die meiste Kritik entfachte sich am Preis. Weil sich der Solidaritätsbeitrag für alle Studierenden erhöhen würde, bezeichnete ein Vertreter der Liberalen Hochschulgruppe das neue Modell als Zwangsticket. Kritisiert wurde außerdem die mangelnde Information über die Umfrage und Zweifel an der Repräsentativität (theoretisch kann eine Person mehrmals an der Umfrage teilnehmen). Von anderer Seite kam die Frage nach einer Härtefallregelung für Studierende, die finanziell nicht so gut aufgestellt sind. Anner sagt, dass das ein erstrebenswertes Ziel sei, diese Idee bisher aber nicht diskutiert wurde. Hier heiße es, weiter zu verhandeln. Das geplante Modell zu einem niedrigeren Preis einführen zu können, hält Niklas Anner nicht für realistisch:

„Ich glaube nicht, dass bezüglich des Preises an den Stellschrauben der Deutschen Bahn und den Verkehrsverbünden etwas zu machen ist. Da bin ich ehrlich. Weder die Deutsche Bahn noch die Verkehrsverbünde sind bereit, mit den Preisen weiter runter zu gehen.“

Trotzdem wolle man nach einer Einführung versuchen, bessere Konditionen auszuhandeln. 

Das wichtigste zum landesweiten Semesterticket findet ihr hier. Das Ergebnis der Umfrage wird auf der dazugehörigen Facebookseite veröffentlicht.

Interview: Anna Maria Degenhart und Clara Thier
Titelbild: Clara Thier
Fotos im Text: Studierendenrat Tübingen/Felix Kraus
Graphik: semesterticket-bw.de

 

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1 Kommentar

  1. Der Soli-Beitrag würde sich für mich persönlich lohnen. Finde es gut, dass es endlich überhaupt mal so einen Vorschlag gibt. Hoffentlich kommt das durch.

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