Von Menschen, die sich würdig verabschieden wollen

…und einem Staat, der das schwierig gestaltet. Prof. Dr. Bernd Hecker (Strafrechtsprofessor in Tübingen) und Dr. Roger Kusch (Vorsitzender des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V.) sprachen am 12. Juni zum Thema „Sterbehilfe und Selbstbestimmung am Lebensende“.

Der Abend beginnt mit einem Exkurs in die Juristerei. Prof. Dr. Hecker erklärt zunächst die aktuelle Gesetzeslage zu den vier verschiedenen Arten der Sterbehilfe: Die aktive Sterbehilfe, bei der der Sterbewillige seinen Tod nicht selbst herbeiführt, ist strafbar wegen Tötung auf Verlangen. Die indirekte Sterbehilfe (z.B. Palliativmedizin) und die passive Sterbehilfe/der gerechtfertigte Behandlungsabbruch (Abschaltung von Lebenserhaltungsmaßnahmen) bleiben straffrei.

Die Suizidassistenz, um die es an diesem Abend primär gehen soll, ist vor allem seit der Einführung des §217 StGB kontrovers diskutiert. Beim Vortrag wird  klar, dass §217 in sich einige Probleme birgt, aber auch in der Öffentlichkeit teils falsch verstanden wird.

§ 217

Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Als erstes sticht das Wort „geschäftsmäßig“ ins Auge. Hier erscheinen im Hinterkopf vieler Menschen, Bilder von Geschäftsleuten, die sich am Tod bereichern. Aber halt. Deutlich weist Prof. Dr. Hecker darauf hin, dass „geschäftsmäßig“ nach juristischer Definition nichts anderes bedeutet, als „auf Wiederholung angelegt“. Es geht also nicht um Profit und Bereicherung, sondern um die Frage, ob einem oder mehreren Menschen beim Suizid assistiert werden sollen.

Inwiefern die Strafbarkeit der „Geschäftsmäßigkeit“ ggf. zu einem Problem werden könnte, verdeutlicht ein Beispiel:

Tamaras (T) Vater Olaf (O) ist dement, wusste aber schon vor den ersten Anzeichen der Demenz, dass er dafür anfällig ist. In seiner Patientenverfügung hielt er somit fest, dass er gerne bei schwerem Grad der Demenz Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen würde. T möchte ihren Vater nicht dazu zwingen, dement weiterzuleben und erklärt sich bereit, diesem einen Becher eines todbringenden Medikaments ans Bett zu stellen. O versteht noch, was sich in dem Becher befindet, trinkt und stirbt.

Im oben genanntem Fall wäre T nach §217 Abs. 2 nicht strafbar, da die Tat nicht auf Wiederholung angelegt ist. Wäre im selben Fall allerdings die Mutter von T auch schwer krank, könnte sie sich strafbar machen, da in der Suizidassistenz von Mutter und Vater schon eine „Geschäftsmäßigkeit“ erkannt werden könnte.

Der Vortrag war trotz der Gesetzlastigkeit sehr gut besucht.

Brechen mit einer 140 Jahre langen Tradition

Suizid ist in Deutschland straffrei – und auch die Suizidassistenz war es die längste Zeit. Warum also gibt es §217?

Prof. Dr. Hecker nennt einige Gründe, weshalb man die Einführung des §217 als notwendig ansah. So hieß es unter anderem, dass Vereine wie z.B. Sterbehilfe Deutschland e.V. den Suizid sozusagen salonfähig machen würden, und man Angst gehabt habe, es könne sich eine Suizidkultur entwickeln. (Dr. Kusch sagt dazu später, dass es zu keiner Zeit explodierende Zahlen bezüglich des Suizids gab, und vor allem die Anzahl der Suizidassistenzen im Vergleich zum „Brutalsuizid“ verschwindend gering waren). Mit der Einführung des § wollte man Betroffene außerdem vor einer übereilten Entscheidung bewahren und die Selbstbestimmung schützen.

Prof. Dr. Heckers zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit des §217 und befürwortet deren Prüfung. Der Paragraph „beschneide in unverhältnismäßiger Weise die Autonomie von Sterbehilfevereinen“.

„Tübingen als Wiege der Sterbehilfediskussion“

Dr. Kuschs, Vorsitzender des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V. – dem Schweizer exit nachempfunden – hat in Tübingen studiert. Tübingen begreift er aufgrund des Buchs „Menschenwürdig sterben“ von Walter Jens und Hans Küng als die Wiege der deutschen Sterbehilfediskussion.

Er erzählt, dass der Verein (vor 2015) 252 Sterbenwilligen geholfen hatte, und alle diese Fälle problemlos verlaufen seien. Durch §217 werde sein Verein in seiner Handlungsfähigkeit extrem eingeschränkt, da die Suizidassistenz, für die der Verein eigens gegründet wurde, nicht mehr durchgeführt werden kann.

Dr. Roger Kusch sprach ohne Powerpoint und bewegte mit Worten.

Ein Ableger in der Schweiz – Verein StHD – bietet dort noch  Hilfe an. Viele der Mitglieder wollen aber nach wie vor in Deutschland sterben. Deswegen haben Mitglieder des Vereins Verfassungsbeschwerde gegen den §217 eingelegt. Eine entgültige Entscheidung steht aber noch aus.

Die Zuhörer an diesem Abend zeigen sich sehr bewegt von dem Thema Sterbehilfe. Viele äußern tiefe Empathie und Betroffenheit. So fragt ein Taxifahrer, ob er denn einem Sterbewilligen helfen könne, indem er ihn in die Schweiz fahren würde. (Antwort: Wenn er wüsste, warum und wohin er den Sterbewilligen fährt, dann ja.)

Eine ältere Dame, deren Mann querschnittsgelähmt und kaum zu einem normalen Leben in der Lage sei, fragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, dass ihr Mann sich würdig verabschieden und seinen Todeszeitpunkt selber wählen könne, obwohl er motorisch weder in der Lage ist, einen Schalter zu bedienen, noch selbständig aus einem Becher zu trinken. (Die juristisch eindeutige Antwort hier lautet: Nein, da eventuell sogar Tötung auf Verlangen in Frage käme.)

Die Diskussion der Zuhörer macht deutlich, dass das Thema Sterbehilfe einen Platz in der Mitte der Gesellschaft verdient, aber auch wie komplex diese Thematik ist.

Fotos: Daniel Böckle


Weiterführende Links/Artikel für Interessierte:
Internetauftritt des Vereins StHD , 14.06.18,15:47
Verfassungsbeschwerde gegen §217 und Ablehnung des Richters Müller, 14.06.18, 15:47
Gesetzesentwurf §217 und Begründung der Notwendigkeit, 14.06.18,15:49
Ansonsten: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, StGB §217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung.

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