„Arbeit ist die Essenz des Menschen“

Was bedeutet Arbeit für Geflüchtete, die einen neuen Platz in der Gesellschaft suchen? Kupferblau hat mit Ramin, 29, über die Suche nach einer Ausbildung, Arbeitersein in Iran und Deutschland und den Wert von Arbeit für einen Menschen gesprochen.

Du bist vor vier Jahren zusammen mit deiner Frau nach Deutschland gekommen. Was arbeitest du jetzt?

Ich arbeite jetzt gerade nicht. Ich habe hier im Asylzentrum einen Minijob als Dolmetscher. Aber das reicht einfach nicht.

Wieso reicht dir der Minijob nicht?

Aus finanzieller Sicht ist das Einkommen von meiner Frau und mir genug. Aber der Minijob ist nur wenige Stunden in der Woche.

Wenn man so viel zu Hause ohne Arbeit sitzt, schädigt das einen Menschen auf längere Dauer, auch seelisch. Für mich ist es so. Ich muss arbeiten! Arbeit ist wichtig für’s Menschsein.

Wenn du nicht arbeitest, wirst du matt und träge und alles wird dir egal. Aber wenn man etwas tut, fühlt man sich nicht überflüssig. Man fühlt, dass man für die Gesellschaft einen Nutzen hat. Und die anderen sehen dich nicht als nutzlos – das ist auch sehr wichtig. Meine Frau arbeitet als Elektroningenieurin. Ich brauche auch eine Vollzeitarbeit!

Fühlst du dich von deiner Frau als Hauptverdienerin abhängig?

Heute hat ein Kollege mit mir gescherzt, ob meine Frau mir mein Taschengeld gegeben hat. Das war kein guter Witz. Ich habe gedacht, dieses Denken ist nur im Iran so. Heute habe ich verstanden: Nein, hier in Deutschland finden es die Leute auch nicht schön, wenn deine Frau arbeitet, aber du nicht. Aber ich selbst sehe mich nicht als abhängig von meiner Frau. Letztendlich verdiene ich auch ein bisschen Geld. Früher, als wir Sozialhilfe bekommen haben, haben wir uns als abhängig von der Regierung verstanden. Aber ich kann mich nicht als abhängig von meiner Frau verstehen. Wir sind eine Familie, und wir sind als Familie unabhängig. Es ist nicht so, dass nur meine Frau Unabhängigkeit hätte. Wir haben zusammen ein Konto!

Du hast mehrere Praktika gemacht und suchst seit zwei Jahren eine Ausbildung. Was für Erfahrungen hast du bei der Suche gemacht?

Der ganze Prozess hier in Deutschland ist kompliziert. Im Iran ist es egal, ob du im Vorstellungsgespräch etwas trinkst oder nicht. Aber hier solltest du Wasser trinken! Das habe ich in einem Kurs für Bewerbungen gelernt. Du suchst so viel, du übst so viel, du schreibst Bewerbungen, und dann kommt einfach keine Antwort. Und ich weiß, die Antwort ist einfach nein. Aber warum sagen sie das nicht? Am Ende hast du nichts, und das finde ich wirklich schade. Ich möchte, ich will, wirklich etwas machen. Aber ich konnte nichts finden. Jetzt suche ich keine Ausbildung mehr, sondern einfach nur Arbeit.

Warum suchst du nicht weiter?

Man sucht eine Ausbildung, um seine Karriere zu verbessern. Aber ich bin jetzt 29 Jahre alt, die Zeit ist jetzt wie Gold für mich. Ich muss jetzt etwas machen.

Was möchtest du arbeiten?

Egal. Jetzt ist es wirklich egal. Hauptsache eine Arbeit, egal als was. Nicht als Reinigungskraft – das ist schwer und ich bin faul. Einfach einen einfachen Job mit hohem Gehalt!

Also ist dir Geld am wichtigsten im Job?

Das war nur ein Spaß!

Als erstes muss ich es mögen, dann wird es nicht langweilig für mich. Danach ist wichtig, ob ich mit dieser Arbeit jemandem helfen kann oder nicht.

Ob man in der Industrie mit einer Maschine arbeitet, oder im sozialen Bereich direkt mit Menschen in Verbindung bist, wie hier in der Beratung, unterscheidet sich sehr stark voneinander. Hier fühlst du, dass du den Leuten hilfst, das gibt mir wirklich ein gutes Gefühl. Geld kommt erst am Ende.

Was bedeutet Arbeit ganz grundsätzlich für dich?

Arbeit? Arbeit ist ein Teil des Lebens. Wir sagen auf Persisch: „Arbeit ist die Essenz des Menschen.“ Das Leben des Menschen. Das ist so wichtig wie Blut für den Menschen.

Was wolltest du werden, als du noch ein Kind warst?

Neurochirurg.

Wie kamst du denn darauf?

Ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung, aber mit fünf oder sechs wollte ich Neurochirurg werden.

Wieso bist du es dann nicht geworden?

Ich habe es versucht, aber das Konkour (iranische Hochschulzugangsprüfung) ist wie ein großer Wald… Dann habe ich eine Ausbildung als Bauzeichner gemacht, und dann einfach nichts – wenn du im Iran keinen Militärdienst machst, dann darfst du nichts arbeiten und nicht heiraten, du darfst wirklich nichts machen. Dann hast du keine Zukunft. Du kannst nur einfacher Arbeiter sein. Aber ein Arbeiter im Iran ist etwas anderes als in Deutschland.

Asyl und Arbeitsrecht

Asylbewerber und Geduldete, die nicht aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ kommen, dürfen nach frühestens drei Monaten mit Genehmigung der Ausländerbehörde arbeiten. Nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland erhalten sie eine allgemeine Beschäftigungserlaubnis.

Anerkannte Geflüchtete, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte erhalten von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis mit uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt.

Was ist der Unterschied zwischen einem Arbeiter im Iran und einem Arbeiter in Deutschland?

Hier in Deutschland gibt es ein Mindestlohn. Im Iran haben wir auch ein gesetzliches Minimumgehalt, aber das reicht nicht. Ein Arbeiter dort verdient zum Beispiel umgerechnet 200 Euro im Monat. Das ist der Unterschied: Hier kannst du auch mit Mindestlohn einfach überleben. Nicht perfekt leben, nicht reich werden, aber du kannst einfach überleben. Im Iran ist es nicht so einfach.

Ramin bei seinem Job beim „Asylzentrum Tübingen e.V.“

Und dein gesellschaftlicher Status, dein Image als Arbeiter, ist in Deutschland besser. Wenn du hier sagst, dass du als Reinigungskraft arbeitest, ist das nicht schlecht. Du arbeitest! Auf Persisch sagt man: „Arbeit ist keine Schande“. Das heißt, dass es egal ist, was oder wo du arbeitest, ob im Schlamm oder im Abfluss. Für Arbeit musst du dich nicht schämen. Aber wir haben diese Redewendung im Iran nur, wir setzen sie nicht praktisch um. Tatsächlich ist es so: Wenn du sagst, ich bin Reinigungskraft, gehen die Leute sehr anders mit dir um.

Gibt es auch eine unterschiedliche Arbeitskultur?

Wenn du in Deutschland etwas machst, versuchst du es perfekt zu machen. Ein Automechaniker in Deutschland repariert einen Motor wie seinen eigenen, egal für wen. Im Iran repariert er den Motor, aber ihm ist egal, wie er es macht. Der gleiche Mensch arbeitet im Iran so, aber wenn er nach Deutschland kommt, arbeitet er ganz anders – wie ein Deutscher. Das habe ich an mir selbst erlebt. Und das hat auch einen Grund.

Wenn du hart arbeiten musst, aber nicht genug verdienst und so viele Sorgen hast, dann verlierst du deine Motivation.

Im Iran hast du so viel Stress, dass deine Arbeitsleistung nach unten geht.

Wo hast du das denn das Wort Arbeitsleistung gelernt?

In meiner Grundqualifizierung hier in Deutschland, Metall und Elektro.

Vielen Dank für das Gespräch

Fotos: Marko Knab

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2 Kommentare

  1. Eine supertolle Einstellung. Ist das nicht genug Motivation um diesen Mann einzustellen. Wenn man lernwillig ist kann man auch Anerkennung und Respekt ernten. Also liebe Arbeitgeber auf was warten Sie noch? Bitte geben Sie diesem Neubürger eine Chance.
    Ich wünsche ihm ganz viel Glück!!!

  2. Eine supertolle Einstellung. Ist das nicht genug Motivation um diesen Mann einzustellen. Wenn man lernwillig ist kann man auch Anerkennung und Respekt ernten. Also liebe Arbeitgeber auf was warten Sie noch? Bitte geben Sie diesem Neubürger eine Chance.
    Ich wünsche ihm ganz viel Glück!!!

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