Die Politisierung der freien Meinung

Nur wenige Zuhörer*innen hatten sich am vergangenen Dienstag zu dem Vortrag der US-amerikanischen Professorin Victoria Smith Ekstrand in die Keplerstraße verirrt. Dabei sprach sie über ein wichtiges Thema: Freie Meinungsäußerung an der Universität. Ein Thema, das auch uns in Tübingen betrifft. Ein Kommentar.

Nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA hätten sich viele Menschen Sorgen gemacht, dass die freie Meinungsäußerung an den Universitäten eingeschränkt werden könnte, erklärt Victoria Smith Ekstrand zu Beginn ihres Vortrags. Eine Sorge, die sich zumindest teilweise bewahrheitet habe. Die Dozentin für Media Law (Medienrecht) an der University of North Carolina at Chapel Hill (UNC) besuchte Tübingen auf Einladung des Instituts für Medienwissenschaft als Distinguished Visiting Professor.

Smith Ekstrands Vortrag trug den Titel „The Student Expression Paradox: The Campus Expression Climate and New Speech Regulation in US Higher Education“. Um zu verstehen, was sich dahinter verbirgt, muss man weit ausholen. Man muss verstehen, wie wichtig den US-Amerikanern ihre Verfassung samt aller Zusätze (Amendments) ist. Der erste dieser Zusätze (1st Amendment) garantiert „freedom of speech“ – freie Meinungsäußerung. Darunter fällt auch die freie Meinungsäußerung an Universitäten und indirekt auch die wissenschaftliche Freiheit.

Voller Hörsaal bei einem Vortrag über Meinungsfreiheit an Universitäten? Fehlanzeige. Dabei ist die Thematik hier am bedeutsamsten.

Proteste und die „Free Speech Crisis“

Anfang 2017, also kurz nach der Amtseinführung Donald Trumps, kam es an mehreren Universitäten zu heftigen, teils gewalttätigen Protesten liberaler Studierender gegen Vorträge von Redner*innen, hauptsächlich aus dem konservativ-rechten Milieu. Viele der Vorträge mussten daraufhin abgesagt werden, so zum Beispiel geschehen an der University of California, Berkeley, die als eine der Top-Universitäten der USA gilt. In der Folge war in den Medien oft von einer „Free Speech Crisis“ die Rede. Smith Ekstrand wies allerdings darauf hin, dass es im gesamten letzten Jahr zu gerade einmal 26 solcher Vorfälle gekommen sei, was es angesichts der hohen Anzahl von US-Universitäten nicht rechtfertige, von einer Krise in dieser Hinsicht zu sprechen, obwohl die Vorfälle natürlich trotzdem problematisch seien.

Problematischer sind für sie allerdings Entwicklungen, die sie unter anderem auch auf ihrem eigenen Campus beobachtet: „Konservative Studenten trauen sich nicht, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. Studenten, die offen Trump unterstützen, werden belästigt, beschimpft und bedroht. Und viele meiner Kollegen sind nicht bereit, sich damit auseinanderzusetzen.“

Bei uns doch nicht- oder doch?

Als Studierende an einer deutschen Universität hört sich das vielleicht erst einmal unwirklich, abgedreht an: Studierende, die sich nicht trauen, ihre politische Meinung zu äußern? Amerika eben, mag man sich denken. Aber wer genauer darüber nachdenkt, merkt, dass wir hier auf einem ähnlichen Weg sind. Wenn, wie es häufig geschieht, Dozierende im Klassenraum die AfD als Negativbeispiel verwenden, glauben wir wirklich, dass sich dann noch irgendjemand trauen würde zuzugeben, dass er*sie die AfD wählt?

Die meisten Menschen sind wahrscheinlich schon mal in einer Situation gewesen, in der sie sich nicht getraut haben, ihre wahre Meinung zum Ausdruck zu bringen, sei es in der Familie, im Freundeskreis oder in sonstigen sozialen Gruppen. Besonders an der Universität aber sollten solche Situationen nicht vorkommen. Im Kontext einer sachlichen Debatte, die wohl alle Fachrichtungen anstreben, sollte es jeder und jedem möglich sein, seine*ihre Meinung angstfrei äußern zu können. Das heißt nicht, dass jede Meinung toleriert und kritiklos hingenommen werden muss, im Gegenteil, aber diese Kritik sollte immer sachlich fundiert gegen die Argumente gerichtet sein, nicht gegen die Person als solche. Gerade an Universitäten ist eine solche Debattenkultur, die bei aller Kritik respektvoll bleibt, unerlässlich. Und wir alle, Studierende wie Dozierende, sollten uns vielleicht öfter fragen, ob wir mit unserem Verhalten und unseren Ausdrucksweisen dazu beitragen oder ob wir (wenn auch unbewusst) dafür sorgen, das Gesprächsklima an unseren Universitäten dem in den USA anzupassen.

Ähnlich wie in den USA ist in Deutschland übrigens die Meinungsfreiheit und auch die Freiheit der Forschung und Lehre im Grundgesetz, Artikel 5 geregelt.

„Anti Free Speech“ zum Schutz der „Free Speech“

Doch zurück zum Vortrag. In den USA hat es seit Trumps Präsidentschaft eine weitere gravierende Entwicklung gegeben: Im Mai 2017 unterzeichnete Trump eine „Presidential Executive Order promoting free speech and religious liberty“. In der Folge wurden in über 25 Staaten Gesetze verabschiedet, um die freie Meinungsäußerung an Universitäten wiederherzustellen und zu erhalten, so auch in North Carolina. Eine gute Sache, möchte man meinen. Doch neben der allgemeinen Betonung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Versammlungsrechts sowie einer Anordnung, dass in Zukunft alle Erstis über beides unterrichtet werden müssen, beinhaltet das Gesetz auch zwei eher problematische Neuerungen.

Tori Smith Ekstrand forscht zu Konflikten zwischen Gesetzen des geistigen Eigentums und dem 1st Amendment der Verfassung. Dabei interessiert sie sich besonders für die Auswirkungen auf den Journalismus und Social Media.

Die erste Neuerung implementiert ein System an Disziplinarsanktionen gegen Studierende, die einen Vortrag oder eine andere Form der freien Meinungsäußerung schwerwiegend stören. Was dabei eine schwerwiegende Störung ist, bleibt zu definieren. Demonstrationen wie die in Berkeley dürften aber mit Sicherheit darunter fallen. Bei drei derartigen Verstößen werden Studierende der Universität verwiesen.

Freie Meinungsäußerung schützen, indem man freie Meinungsäußerung bestraft? Das erscheint weder logisch noch sinnvoll. Auch Smith Ekstrand ist überzeugt: „Es wäre besser, den Studierenden zuzuhören, anstatt sie zum Schweigen zu bringen.“

Auch die zweite Neuerung hat es in sich: Die Universitäten sind verpflichtet, ein „Committee on Free Expression“ einzusetzen, bestehend aus elf Mitgliedern des „Board of Governors“. Dieses Komitee muss jedes Jahr einen Report herausgeben, zur Lage der Freien Meinungsäußerung an der Universität. Das problematische daran: Das „Board of Governors“ wird von der „North Carolina General Assembly“, also der Regierung North Carolinas, gewählt und so von der regierenden Partei maßgeblich beeinflusst. Und das, wie Smith Ekstrand sich ausdrückt, „is right in the face of academic freedom“.

Es erscheint unglaublich, dass sich  in einem Land, dass so viel auf seine Verfassung gibt, nicht mehr Widerstand regt gegen ein Gesetz, dass so sehr das 1st Amendment angreift – man denke nur an die lautstarken Proteste, jedes Mal, wenn vorgeschlagen wird, das 2nd Amendment (das Recht auf Waffenbesitz) einzuschränken. Generell reagieren viele US-Amerikaner auf stärkere Einflussnahme und Regulierung von Seiten des Staats und der Regierung normalerweise allergisch, was den größtenteils ausbleibenden Protest umso verwunderlicher macht.

Bisher hat das neue „Committe on Free Speech“ noch keinen großen Einfluss im universitären Alltag der UNC ausgeübt, meint Victoria Smith Ekstrand. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Arbeit des Komitees in der nächsten Zeit entwickelt.

Auch hier in Deutschland sollten wir unseren Blick öfter mal auf die Geschehnisse an den US-Unis richten und sie uns als abschreckendes Beispiel zu Herzen nehmen, um ein dermaßen repressives Meinungsäußerungs-Klima an unseren Unis unter allen Umständen zu vermeiden.

Fotos: Joshua Wiedmann

 

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