Ende Mai waren 3.000 Menschen im Zuge der Fridays for Future Demonstrationen allein in Tübingen auf der Straße. Kupferblau hat mit einer der bekanntesten Organisator*innen in Deutschland, Luisa Neubauer, und der Tübinger Aktivistin Caroline Kunz über die Klimakrise, die Systemfrage und die Zukunft der Klimaschutzbewegung gesprochen.
Kupferblau: In Aachen waren nach Angaben von Fridays For Future (FFF) 40.000 Menschen auf der Straße am Freitag. Wart ihr da und wie war die Stimmung?
Luisa: Ja, ich war da. Es war beeindruckend, es war unser Halbjahresstreik – der größte Streik jemals in Deutschland mit FFF. Das spricht Bände darüber, wie groß die Unzufriedenheit mit der Regierung und wie groß die Motivation ist. 40.000 junge Menschen an einem Ort mit viel Musik, vielen tollen Reden und mit ganz viel Internationalität. Das ist natürlich eine schöne Veranstaltung.
Caro: Ich war auch im Rheinland, aber nicht in Aachen.
Kupferblau: Was hat euch politisiert und was motiviert euch zu eurem Engagement für den Klimaschutz?
Caro: Ich hatte da ein einschneidendes Erlebnis. Ich war letztes Jahr im Oktober bei der Soli-Demo zu Ende Gelände und habe da zum ersten Mal einen Tagebau in live gesehen. Es fühlt sich einfach nur nach Zerstörung an. Danach hat es bei mir Klick gemacht und dann bin ich irgendwie von Organisation zu Organisation getaumelt. Ich habe was gemacht bei Greenpeace und bei anderen Initiativen und dann haben wir hier im Januar die Ortsgruppe gegründet. Jetzt habe ich kaum noch Zeit für etwas anderes.
Luisa: Mit dem Klima habe ich mich wie die meisten Leute in der Schule beschäftigt. Das war so eine Doppelstunde im Erdkunde-Unterricht, eine Doppelstunde Klimawandel, dann eine über Vulkane und eine zum Thema Wattenmeer. Ich fand es total krass, am Ende des Halbjahres hatten wir das alles gemacht und niemand hatte mehr Ahnung. Irgendwann habe ich ein bisschen mehr dazu gelesen und fand es merkwürdig, dass wir sagen, es wäre ein großes Problem, aber gar nichts machen. Ich habe mich dann immer mehr damit beschäftigt, weil ich dachte, irgendwas stimmt hier nicht. Aus dem Grund habe ich angefangen Geographie zu studieren, habe angefangen, das besser zu verstehen und habe mich auch im Klima- und Umweltbereich länger engagiert. Ich dachte immer, dass es zwar gut ist, das zu machen, aber dass es eine gewählte Regierung gibt, die sich darum kümmert. Und es gab das Pariser Abkommen: Als es verabschiedet wurde war ich gerade 19, eigentlich in einer vollen Politisierungsphase und das heißt es war ja irgendwie klar, dass sich da jemand kümmert. Und dann war Paris vorbei und es ging weiter und man hörte aber überall, dass eigentlich alles schlechter wird, obwohl es ja dieses Abkommen gab. Das hat uns sehr misstrauisch gemacht, und dann bin ich einmal zu einer Klimakonferenz hingefahren, habe mir das angeguckt letzten Dezember [UN-Klimakonferenz in Katowice, Anm. d. R.] und festgestellt, dass da ganz viel passiert, die Leute dort aber nicht die Welt oder unsere Zukunft retten werden. Bei der Klimakonferenz habe ich mit Greta über ihren Streik gesprochen und dachte, wir brauchen vielleicht so etwas in Deutschland. Ich fand das war ein sehr beeindruckendes Konzept, ein Format des Widerstands. Und dann haben wir gestreikt.
Kupferblau: So wie dir ging es auch vielen anderen, die durch Greta Thunberg motiviert wurden. Fridays For Future ist mittlerweile in Deutschland gut vernetzt. Aber vielleicht kannst du, Luisa, was dazu sagen, wie das international funktioniert. Aachen war zum Beispiel eine internationale Klima-Demo. Wie funktioniert der Kontakt zu Aktivist*innen im europäischen und auch im außereuropäischen Ausland?
Luisa: Zum einen haben wir eine AG, die sich mit Internationalem beschäftigt. Das sind Menschen, die ganz explizit dafür verantwortlich sind, Kontakte herzustellen, zu pflegen und ab und zu zu internationalen Konferenzen zu fahren. Wie das so ist mit zwischenmenschlichem Austausch funktioniert ganz viel immer über persönliche Treffen. Zum Beispiel hatten wir jetzt in Aachen ganz viele Menschen eingeladen, die wir schon kannten und die wir aus dem Ausland dazu geholt haben. Ich bin auch ein paar Mal mit Greta zusammen ins europäische Ausland gefahren und habe da Leute kennengelernt. Darüber kennen uns auch viele. Und natürlich gibt es nochmal eine andere Ebene der Kommunikation, die entsteht, wenn man hört, dass andere Leute etwas machen. Leute aus Afrika oder aus Amerika schreiben mir, weil sie davon gehört haben, was wir machen, mich damit assoziieren und in den Austausch treten wollen. Es gibt jetzt im Sommer die erste internationale Konferenz in Lausanne in der Schweiz. Da fahren circa 17 von uns hin. Da bin ich nicht dabei, aber das wird glaube ich ein ganz gutes Ereignis. Der große Vorteil ist, dass wir so digital sind. Wir sind immer vernetzt. Es ist recht unkompliziert, obwohl – und ich glaube das geht fast allen so, auch im Ausland – wir alle so wahnsinnig beschäftigt sind vor Ort. Die Zusammenarbeit, die Kontaktpflege, der Austausch mit Menschen aus dem Ausland ist selten eine Priorität. Und das heißt wenn man sich sieht, ist das besonders wertvoll, aber es ist auch keine Selbstverständlichkeit.
Kupferblau: Caro, Ende Mai waren in Tübingen 3.000 Menschen auf der Straße. Aus deiner Sicht: Was sind das für Leute, die auf die Straße gehen?
Caro: Ich glaube es sind Menschen, die erkannt haben, dass eine Bambus-Zahnbürste kaufen und die Grünen wählen nicht ausreicht, dass man sich irgendwie auch auf einer anderen Ebene politisch einbringen kann und muss. Demos sind einfach leicht zugänglich. Im Vergleich zu Organisationen ist einmal die Woche auf die Straße gehen glaube ich relativ easy, auch wenn es teilweise schon mit Repressionen verbunden ist. In Tübingen sind es tatsächlich hauptsächlich Schüler*innen, an Studis kommen wir leider nicht so gut ran. Ich kann das auch ganz gut nachvollziehen, weil wir eigentlich die Idee, die Ortsgruppe zu gründen, schon eine Woche nach dem ersten Streik in Berlin hatten. Wir waren aber nur Studis und dachten uns, wir lassen das erst mal die Schüler*innen machen, wir wollten da nicht paternal sagen, dass sie streiken sollen. Dann kam leider nichts, dann haben wir es einfach trotzdem gemacht. Mittlerweile sind wir 50/50 im Orga-Team und nicht mehr nur Studis. Eigentlich paradox, dass es hauptsächlich Studis organisieren und hauptsächlich Schüler*innen hingehen. Tübingen ist eine Blase, in der die Klimakrise noch einmal abstrakter ist, weil hier zum Beispiel samstags der Bus kostenlos ist und die Stadtwerke hauptsächlich Ökostrom beziehen. Dann fährst du ins Rheinland und siehst so eine Grube und bist wütend, aber wie willst du diese Wut nach Tübingen bringen? Das ist ein bisschen schwierig.
Kupferblau: Jetzt mal eine Frage an euch beide: Was ist für euch denn das Ziel von FFF? Einerseits hört man dieses Argument, „Wir wollen den Diskurs anstoßen, wir wollen, dass darüber geredet und gehandelt wird“, und andererseits kommen aber auch sehr konkrete politische Forderungen.
Caro: Ich glaube man muss da kein „entweder … oder“ daraus machen, es ist beides wichtig. Das übergeordnete Ziel ist Klimagerechtigkeit und ich glaube man schafft keinen Systemwandel, ohne vorher alle Leute abzuholen und das schaffst du nur im Diskurs. Ich finde das hat den gleichen Stellenwert, für mich zumindest.
Luisa: Mittel zum Zweck. Am Ende des Tages bringt es dem Planeten nichts, wenn wir nur über den Klimawandel reden oder über die Klimakrise und wenn wir jeden Tag Systemwandel und Klimagerechtigkeit predigen, hat da niemand was davon. Wir sollten uns überlegen, was uns in diese Krise gebracht hat, und das sind nun mal Kohle- und Gasverfeuerung. Nichts verändert sich, wenn man es nicht erst mal zum Thema macht. Ich glaube, es ist an der Stelle entscheidend, dass man sich immer wieder darauf beruft, dass das noch überhaupt nichts bringt auf geophysikalischer Ebene. Im Diskursiven, Politischen und Gesellschaftlichen sicherlich, im Medialen meinetwegen auch.
Dieser Fokus auf das große Ganze, auf die Graphen, die die Kurve kriegen müssen, ist entscheidend.
Kupferblau: Luisa, wir hatten in den 80er Jahren schon mal eine Umweltbewegung, eine Friedensbewegung und eine Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland. Warum hat das nicht gereicht und was sind die Unterschiede zu FFF?
Luisa: Die Emissionen seit den 70ern und 80ern in Deutschland sind nur unmerklich gesunken und nicht annähernd so weit, wie das hätte passieren müssen. Global sind sie weiter gestiegen. Obwohl damals das Umweltbewusstsein und die wissenschaftlichen Erkenntnisse schon da waren. Was in den 70ern und 80ern passiert ist, ist im Endeffekt eine andere Geschichte gewesen. Zum einen war das ganz eng verknüpft mit einem kulturgesellschaftlichen Wandel, und es gab eine ganz konkrete Problematik: Die Ozonschicht, das Waldsterben in Deutschland und die Atomkraft. Das waren sehr konkrete, sehr greifbare und auch sehr lösbare Probleme. Es war tatsächlich möglich, in dem Rahmen Antworten zu finden, die der Sache gerecht werden konnten. Mittlerweile stehen wir vor einem Problem, das in der Komplexität weit darüber liegt. Wo es keine einfachen Lösungen gibt, wo es eine neue Dringlichkeit gibt, eine ablaufende Zeit, die vielleicht so auch bei dem Ozonloch da war, aber halt ohne, dass es die eine Antwort gibt. In dem Sinne ist das eine sehr spannende Entwicklung gewesen, weil der Lerneffekt aus diesen Ereignissen war, dass man Klima- und Umweltprobleme lösen kann, wenn man zusammenkommt und Entscheidungen trifft. Was der Lerneffekt aber nicht war, war die Erkenntnis, dass wir etwas verschlafen haben. Heute ist die Lage eine andere und ein Abkommen wie das Montreal-Abkommen damals wird es nicht lösen können. Wir als Bewegung sind vielleicht punktuell vergleichbar mit den Umweltbewegungen aus den Achtzigern. Im Erscheinungsbild, in der Kommunikation, der Art und Weise wie wir wen adressieren, aber stark neuartig.
Kupferblau: Jetzt ein Blick in die Zukunft, Caro. Was denkst du, wie sieht FFF in zehn Jahren aus?
Caro: Ich hoffe, dass es FFF in zehn Jahren nicht mehr geben muss. Tatsächlich. Klingt vielleicht naiv. Wenn wir es in zehn Jahren nicht geschafft haben, dann ist halt – dann ist das Scheiße. Wir haben ja nur noch elf Jahre. Kampflos aufgeben werden wir nicht, aber in der Form wird es uns nicht mehr geben, weil wir dann ganz andere Probleme haben werden. 400 Millionen Geflüchtete sind die Prognose bis 2050. Ich glaube, wir müssen uns langsam immer mehr an diese Systemfrage herantrauen. In einem kapitalistischen System, was auf Wachstum ausgelegt ist, auf einem Planeten zu leben, der nicht unendlich weit wächst, ist unlogisch.
Kupferblau: Das ist eine perfekte Überleitung zum Thema Nachhaltigkeit und Wachstum. Der Ökonom Niko Paech ist der Meinung, dass wir uns vom Wachstumsdogma lösen müssen, um eine ökologische Wende und die Bewältigung der Klimakrise zu erreichen. Er sagt: „Die bisherigen Versuche ein umweltverträgliches Wachstum durch technische Innovationen oder nachhaltige Produktdesigns zu erreichen sind rigoros gescheitert“. Stimmt ihr Paech zu? Was würde das für unser Wirtschaftssystem oder für unser System zu Leben bedeuten?
Luisa: Also Niko Paech argumentiert natürlich aus einer Perspektive heraus, die ich sehr nachvollziehen kann. Ich finde es aber ein bisschen undifferenziert, Wachstum pauschal abzulehnen. Wir müssen mehr darüber reden, welches Wachstum wir meinen. Es geht darum, dass wir quantitatives Wachstum zu qualitativem Wachstum transformieren und statt Wachstum im Sinne von Umsatz zum Beispiel Wachstum an Glück, Wohlstand, Zufriedenheit, Naturqualität, Lebensraum etc. erreichen.
Mein Eindruck ist, dass es das System überhaupt nicht interessiert, ob wir die Systemfrage stellen oder nicht.
Es geht vielmehr darum, dass wir Konzepte, Ideen, Visionen vorstellen, die tatsächlich an dem Punkt ansetzen, an dem wir gerade sind. Ich vermute auch, dass ein kapitalistisches Wirtschaftssystem und die Überwindung der Klimakrise schwer zu vereinbaren sind. Die letzten zehn Jahre wurde der Kapitalismus immer wieder sehr intensiv in Frage gestellt, angefangen mit Occupy Wall Street. Das hat sich aber nicht ausgedrückt oder manifestiert in irgendwelchen konkreten Änderungen in der Wirtschaft, im Gegenteil: Wir haben einen entfesselten Kapitalismus, der die ganze Welt umspannt und um sich schlägt. Meine Lehre daraus wäre, dass wir anders herangehen müssen. Man sieht teilweise, dass das Stück für Stück geht. Es gibt immer mehr Unternehmen, die sich fragen, wohin sie wachsen wollen. Wir sehen, dass Japan seit zehn Jahren praktisch kein Wirtschaftswachstum verzeichnet und trotzdem immer noch da ist. Ich denke, dass wir in der Herangehensweise durchaus aggressiver sein müssten, weil so ein softes „Wir überlegen was Green Growth sein könnte und stellen fest, dass wir unsere Flüge überkompensieren, wenn wir Business Trips machen“, das wird es nicht sein. Das war jetzt eine recht abstrakte Geschichte, aber das ist bei Wachstum die Krux.
Kupferblau: Anschlussfrage an dich Caro: Wir haben im Moment keine wachstumskritische Kraft als Partei in Deutschland, auch die Grünen nicht. Was sagst du dazu?
Caro: Ja, natürlich brauchen wir das. Wenn man eine FDP hat, die sagt, „Der Markt regelt alles“, braucht man natürlich irgendeine Gegenkraft, die sagt, „Nee, der Markt regelt gar nix, außer vielleicht Profitmaximierung und Ausbeutung“, also Ausbeutung von Menschen und der Natur – wobei der Mensch auch Natur ist, das kann man nicht so klar trennen.
Kupferblau: Luisa, du hast gerade schon gesagt Verallgemeinerungen sind nicht hilfreich. Die Klimakrise bedroht zwar die Lebensgrundlage von uns allen, aber sie trifft den globalen Süden jetzt schon viel härter als uns im globalen Norden; Stichwort Klimakrise und Menschenrechte. Wie beurteilst du diese Ungleichheit und was bekommt ihr von Mitstreiter*innen im globalen Süden mit, die in einem ganz anderen Umfeld streiken als ihr hier?
Luisa: Im globalen Süden ist nicht nur das politische Umfeld ein ganz anderes. Der Streik an sich hat viel mehr Hürden zu überwinden, bis er dann auf der Straße ist. Da heißt, da wird gestreikt, durchaus präsent und organisiert, aber oftmals kleiner, weniger gut vernetzt und mit anderen Schwerpunkten. In Uganda zum Beispiel wird ganz viel gegen Plastik gestreikt, in Chile geht es natürlich viel um lokale Fischereien und um den Abbau von Rohstoffen, also durchaus mit anderen Problematiken, die vor Ort präsent sind. Aber wie gesagt, das über Menschenrechte zu interpretieren, ist eigentlich der richtige Weg.
Nicht nur, dass Lebensgrundlagen in Gefahr sind, sondern auch politische Rechte.
Menschenrechte im weitesten Sinne, die dadurch, dass Menschen nicht streiken können, noch einmal eine ganz andere Aufmerksamkeit bekommen müssen. Und ich glaube, da sind wir nicht gut genug drin, das zusammen zu denken. Nicht nur, dass Menschen bedroht sind von der Klimakrise und in Kenia, Uganda, Nigeria oder Bangladesch streiken, sondern dass selbst die Artikulation dieser Sorgen vor Ort durch politische Gewalt nicht ermöglicht wird.
Die Frage, ob wir globale Ungleichheit als Klimagerechtigkeit framen können, ist sehr spannend. Meiner Ansicht nach ist ein großer Grund, warum wir seit 30 Jahren wissen was los ist und gerade in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt, nichts machen, dass wir überhaupt nicht in irgendeiner Art verstanden haben, was Klimagerechtigkeit bedeutet. Wir sehen Klimaschutz stattdessen als ein Wohlstandsproblem von uns wohlständigen Ländern gegenüber dem „armen“ globalen Süden, der betroffenen ist – uns betrifft es aber nicht. Das ist ein elitäres Problem in unserem Narrativ. Klimaschutz ist eine Sache, die man machen kann, aber niemand zwingt einen, weil es ja ein reiner Gefallen ist. Dass wir als die Nation, die mehr Treibhausgase kumuliert emittiert hat, als kaum ein anderes Land auf der Welt, in direkter historischer und moralischer Verantwortung stehen und auch hier zu spüren bekommen was jetzt schon, in der Gegenwart, los ist, das haben wir nicht verstanden. Da haben wir uns ein Narrativ aufgebaut, was absolut desaströs ist. Eine enorme Herausforderung ist gerade das zu transformieren in ein Narrativ, was es schafft Klimagerechtigkeit zu transportieren und eine Sprache für diese extreme Ungerechtigkeiten zu finden, die uns zu tatsächlichen Mitschuldigen machen und zu Mitverantwortlichen, in Partnerschaft mit anderen Teilen der Welt zu agieren. Kann ich noch was ergänzen? Mich stört, dass wir hier nur vom globalen Norden und globalen Süden reden, dabei gibt es auch in Deutschland und in Europa große Diskrepanzen was die Art und Weise angeht, wie uns die Klimakrise betrifft, wie wir daran Schuld haben und verantwortlich sind. Da müssten wir mehr Sensibilität schaffen.
Caro: Auf der anderen Seite ist es aber auch krass, wie die armen Leute instrumentalisiert werden von Menschen, die keinen Bock auf Kohleausstieg haben. (zu Luisa) Das hast du doch getwittert, mit diesem „Old White Men for Future“? Da ging es um jemanden, der keinen Bock mehr darauf hatte, ständig das Gesicht zu sein von den „armen Menschen“, die ja irgendwie ihre Lebensgrundlage verlieren würden, dadurch, dass man Klimaschutz macht. Dabei ist das ja nicht so, dass das nicht sozial verträglich ginge.
Luisa: Ja, oder was wir gerade in der Kohle erleben: 20.000 Arbeitsplätze sind auf einmal ein Riesenthema. Die letzten 100.000 Arbeitsplätze, die in der Branche verlorengegangen sind, haben niemanden gestört.
Caro: Und dass Arbeitsplätze durch die Digitalisierung wegfallen ist irgendwie selbstverständlich, aber wenn es um eine Energiewende geht, wird massiv blockiert.
Kupferblau: Caro, du hattest vorhin diesen Mann angesprochen, der sein Gesicht nicht mehr einspannen lassen wollte. Ihr habt mit Greta Thunberg auch ein Gesicht, das weltweit zur Ikone geworden ist. Inwiefern nutzt es eurem Anliegen und inwiefern vielleicht auch nicht?
Caro: Ich glaube dadurch, dass eine Bewegung ein Gesicht hat, wird sie greifbarer und vielleicht auch zugänglicher. Auf der anderen Seite macht man sich dadurch natürlich auch angreifbar, wenn dieses Gesicht Dinge tut, die Menschen nicht passen. Dann heißt es „Greta hat xy gesagt, und deswegen seid ihr alle nicht mehr legitim in dem was ihr tut“, was natürlich Quatsch ist. Und vielleicht ist es auch ein Problem, dass man durch einen Personenkult ganz viele Menschen ignoriert, die sich ja irgendwo auch den Arsch aufreißen. Das wird halt nicht gesehen und das kann natürlich auch demotivierend sein. Wenn innerhalb von Deutschland zum Beispiel immer fünf Menschen in der Presse sind und dann ruft Konstanz als erste Stadt den Klima-Notstand aus, aber dann sieht man kein Gesicht aus Konstanz in der Presse. Aber ich glaube, das ist ein mediales und kein inhaltliches oder innerstrukturelles Problem.
Kupferblau: Stichwort Medien: Du, Luisa, wirst in den Medien oft als „Gesicht von Fridays for Future Deutschland“ bezeichnet. Wie stehst du dazu und wie gehst du mit der Kritik an deiner Person um, die vor allem in sozialen Medien stattfindet?
Luisa: Ich würde mich Caro anschließen. Protestforscher sagen, dass Bewegungen am stärksten sind, wenn sie Gesichter haben, das macht sie signifikant … nachhaltiger im weitesten Sinne. Es erhöht die Chancen, dass sie in irgendeiner Form damit Erfolg haben können. Das ist aber wichtig, aber entscheidend ist es, dass es nicht ein Gesicht ist, sondern mehrere Gesichter. Ich glaube, es gibt Statistiken dazu, was die beste Zahl wäre, fünf bis zehn oder sowas. Ich denke schon, es ist okay, Personen zu haben, die mit der Bewegung assoziiert werden, es schafft enorme Anschlusspunkte. In Länder wie Österreich und der Schweiz dagegen findet bei FFF eine Medienrotation statt. Wenn jetzt Greta aber nach Österreich eingeladen wird, dann hat sie dort keinen zentralen Ansprechpartner, dann fragen die Leute dort mich, ob ich sie anschreiben kann. Das sind so Kleinigkeiten, aber daran sieht man auch die Praktikabilität an so einem System.
In Deutschland haben wir eine sehr mächtige Presse, anders als in Frankreich oder England, wir haben eine enorme Pressepräsenz, und wir arbeiten seit Tag Null daran, dass sehr viele Leute gesehen werden. Aber es ist sehr zäh, und ich verbringe sehr viele Stunden damit, dass andere Menschen irgendwo medial präsent werden und das ist eine sehr undankbare Angelegenheit für alle Beteiligten. Nicht nur für mich ist das mühsam zu sagen „Nehmt bitte Person xy“, es ist auch undankbar für die Person zu wissen, ich bin eigentlich nur zweite Wahl, und es ist auch undankbar für die Medien. Das ist eine Medienlogik, die sehr gegen die Bewegungslogik und gegen unsere gesellschaftliche Logik arbeitet.
Dass ausgerechnet ich das bin, erklärt sich dadurch, dass ich im ersten Monat eine wichtige organisatorische Rolle gespielt habe, da hatten wir einen gigantischen Streik in Berlin und es gab noch keine Ortsgruppe. Mittlerweile wird diese Bewegung getragen von so vielen Menschen, die ganz ähnliche Pensen erfüllen, wie ich das mache. Da hat sich viel verschoben, aber viel reproduziert sich auch wieder. Als im Januar und Februar eine Hasswelle über mich kam, war das Thema in den nächsten dreißig Interviews dieser Hass im Netz.
Kupferblau: Caro, was kann ich als Studierende*r an der Uni konkret tun, um die Klimakatastrophe aufzuhalten?
Caro: An der Uni fällt mir gerade ganz aktuell unsere „tolle“ Mensa ein. Unser Studierendenwerk hat vor kurzem eine Nachhaltigkeitswoche gemacht. Hört sich gut an, war es aber nicht. Es gab das gleiche Menü wie immer, nur dass es Nachhaltigkeitswoche hieß und die CO2-Bilanz neben den Gerichten stand. Es hat irgendwie niemanden gestört, dass die CO2-Bilanz von dem Fleischgericht dreimal so hoch war wie die des vegetarischen. Innerhalb der Woche gab es dreimal Fleisch und zweimal vegetarisch und kein einziges Mal vegan. Zu propagieren, Fleisch könnte nachhaltig sein, ist ein Skandal finde ich. Wir haben dann um ein Statement gebeten, aber es kam keine Antwort. Dann haben wir kostenlos Essen verteilt an einem Tag an dem es Rindfleisch gab und dabei 250 Essen ausgegeben. Darauf kam auch keine Antwort. Mal gucken, wo das noch hinführt … also da kann man sich gerne beschweren beim StuWe! An der Uni selber kann man sich einbringen, indem man sich in irgendeiner Initiative engagiert, die sich für Nachhaltigkeit einsetzt, da gibt es ja viele. Und dann gibt’s natürlich noch den Stura, der natürlich auch ein wichtiges Organ ist.
Kupferblau: Ihr beide beschäftigt euch jeden Tag mit den Auswirkungen des Klimawandels. Da kann man schon mal den Kopf in den Sand stecken. Wie könnt ihr euch überhaupt noch motivieren?
Luisa: Es gibt die sehr realistische Wahrscheinlichkeit, dass wir hier alles umsonst machen. Dass wir am Ende des Jahrhunderts dastehen mit 3,5 Grad Erwärmung und uns die Ökosysteme auseinanderreißen und die Arten sterben und Leute keine Kinder mehr bekommen, weil die Welt so schrecklich ist. Und weil die Chance besteht, müssen wir alles, was wir jetzt machen, mit guter Laune machen und an der Stelle auch überlegen, wie wir das verbinden mit persönlicher Lebensqualität. Das ist worauf wir uns im Zweifel einlassen müssen. Ganz ehrlich, ich finde auch, es ist alles irgendwie dramatisch und gruselig und man kriegt Weltschmerz, wenn man sich anguckt, was Wissenschaftler täglich herausfinden, aber alles was wir machen, machen wir in bester Gesellschaft und zumindest an der Stelle mangelt es uns nicht. [lächelt]
Caro: Da würde ich mich anschließen.
Ich will nicht, dass ich mal Kinder habe, die mich fragen, warum ich nichts getan hätte.
Ich denke immer Samstag bis Donnerstag, dass mir alles über den Kopf hinauswächst und dann ist Freitag und die Leute gehen auf die Straße und haben gute Laune und Bock, die Welt zu retten, und dann geht’s mir wieder gut.
Kupferblau: Vielen Dank für das Interview.
Interview: Clara Thier & Florian Sauer
Fotos: Thomas Dinges