Tagtäglich kommen wir an Orten vorbei, die nach historischen Persönlichkeiten benannt wurden. Doch wer waren diese Menschen und was leisteten sie, dass Straßen, Plätze und Denkmäler zu ihren Ehren erbaut wurden? Aus bekannter Familie geboren, an der Universität Karriere gemacht und verschrien als „meistgehasster Mann Württembergs“: Rümelin, viel mehr als der Name einer Bushaltestelle.

Auf den falschen Bus gesetzt

Der Prof hat mal wieder maßlose zehn Minuten überzogen. Jeder normal denkende Student wäre wohl längst aus dem Kupferbau geflohen, wäre der Stoff nicht absolut klausurrelevant. Jetzt aber los. In ein paar Minuten mit dem Bus zum Hauptbahnhof? Das klappt bestimmt. Schnell in den nächstbesten Bus gehuscht und – Rümelinstraße. Verdammt! Falscher Bus.

Die Bushaltestelle Rümelinstraße in der Innenstadt ist wohl eine der meistbedienten in Tübingen.

Viele Studierende werden diese oder eine ähnliche Situation wohl schon einmal durchlebt haben. Da stellt sich doch fast zwangsläufig die Frage, wer Rümelin eigentlich war. Und ist er wirklich so unwichtig, dass nicht jeder Bus an seiner Haltestelle hält? Mitnichten. Tatsächlich gab es in Tübingen nicht nur einen Herren, der hinten Rümelin hieß. Gleich mehrere Vertreter der von Rümelins haben sich in Tübingen einen Namen gemacht. Die Rümelinstraße, die so unscheinbar aus der Hölderlinstraße hervorgeht, ist jedoch Gustav von Rümelin gewidmet.

Dieser Christian Heinrich Wilhelm Gustav von Rümelin wurde am 26. März 1815 in Ravensburg geboren. Den Großteil seines Lebens verbrachte er im Schwabenland. In den 1830ern studierte er evangelische Theologie an der Universität Tübingen. Er schloss sich einer Burschenschaft an, obwohl er nicht fechten konnte, wie sich sein Sohn später erinnern sollte. Im Jahre 1837 promovierte Gustav von Rümelin zum Doktor der Philosophie. Danach arbeitete er als provisorischer Lehrer an verschiedenen Lateinschulen. Vier Jahre lang war er sogar Rektor und Erster Lehrer der Lateinschule zu Nürtingen.

Gustav von Rümelin im Kanzlerornat. 1856 wurde der Familie der Adelstitel verliehen. Gemälde von Roland Risse via Wikimedia Commons 

Der meistgehasste Mann Württembergs

Schon zu dieser Zeit engagierte sich Rümelin sowohl als pädagogischer als auch als politischer Schriftsteller. Der Politik blieb er Zeit seines Lebens treu. So gehörte er als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung an. In der Paulskirche war er zunächst Mitglied des Württemberger Hofs, später des Augsburger Hofs. Dort eckte er vor allem durch seine preußische Gesinnung an. Er plädierte für den Anschluss Württembergs an die preußische Verfassung. Diese Standpunkte brachten ihm den Titel einer der „meistgehassten Männer Württembergs“ ein. Vielleicht ist es also nicht nur die Verkehrsführung, die eine hundertprozentige Busanbindung an dieser Straße verhindert.

In einem Briefwechsel mit einem gewissen Robert Kern machte er 1849 seine politische Haltung in der Preußenfrage unverhohlen klar:

„Der bornierte württembergische Eigensinn, der vom übrigen Deutschland nichts weiß und mit lächerlichem Stolz seinen eigenen Weg einschlagen will, wird uns noch viel zu schaffen machen. Es ist mir oft unbegreiflich, wie dumm bei uns auch die gescheitesten Leute politisieren. Wenn man immer noch vom Festhalten an der Reichsverfassung, vom einigen Deutschland ohne Preußen und Oesterreich reden hört, so weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll über solche Dummheit, die sich dazu noch für patriotische Weisheit ausgibt, und doch muß ich alle Augenblicke von irgendeinem Freunde oder Bekannten, den ich bisher für einen gescheiten Menschen gehalten habe, solche Sachen hören.“

Das Grab der Rümelins auf dem Tübinger Stadtfriedhof. Gleich mehrere Familienmitglieder wirkten in Tübingen. (Quelle: Wikimedia Commons)

Rümelin, der Statistiker und Kanzler

Seiner politischen Karriere tat Rümelins zweifelhafter Ruf allerdings keinen Abbruch. Als Ministerialrat im württembergischen Kultusministerium und später sogar als Kultusminister, stand er für eine Reihe progressiver Gesetzesänderungen. So ist er für das 1858 erlassene Volksschulgesetz verantwortlich. Dieses verhalf dem Lehrerstand zu mehr Ansehen und ließ auch Frauen zum Unterricht zu. Nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik leitete er über Jahre hinweg das Statistisch-Topographische Büro in Stuttgart. Die Statistik wurde zu seiner neuen Lebensaufgabe. In den Jahren 1867 bis 1888 unterrichtete er an der Universität Tübingen in Statistik, vergleichende Staatenkunde und Philosophie. Ab 1870 war er zusätzlich Kanzler der Universität Tübingen, sicherlich der Höhepunkt seiner pädagogischen Karriere. Als Kanzler war er nicht nur Leiter des Verwaltungsapparats der Uni, sondern agierte auch als Mittler zwischen Universität und Ministerium.

Er verstarb am 28. Oktober 1889 nach schwerer Krankheit in Tübingen. Seine Krankheit hielt er bis kurz vor seinem Tod auch vor seinem engsten Familienkreis geheim. Sein Sohn Max von Rümelin (1861-1931) schlug einen ähnlichen Weg wie sein Vater ein. Auch er war ab 1908 Kanzler der Universität Tübingen und etablierte sich als herausragender Zivilrechtler des frühen 20. Jahrhunderts.

Quellen und weitere Informationen:

  • Dvorak, Helge. Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Bd. 1: Politiker, Teilbd. 5: R-S, Heidelberg: Winter, 2002.
  • Hockerts, Prof. Dr. Hans Günther. Neue Deutsche Biographie. Bd. 22, Berlin: Duncker & Humboldt, 2005.
  • Raberg, Frank. Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815-1933. Stuttgart: Kohlhammer, 2001.
  • Rümelin, Max. Gustav Rümelin: Erinnerungen an meinen Vater. Tübingen: Mohr, 1927.

Beitragsbild: Sven Rottner

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