Der Oktober ist zu Ende und damit auch der erste Monat meines Studenten-Daseins. Das ging schnell! Aber so richtig angekommen bin ich noch nicht. Ich habe meinen Stundenplan erstellt, einige Nummern von potenziellen neuen Freunden abgespeichert und die ersten Lektüren besorgt. Dennoch sitze ich im Moment alleine in meinem Zimmer im Ulmenweg, das noch immer nach neuen IKEA-Möbeln riecht, und denke über das Ersti-Dasein nach.
Zugegeben, ganz alleine bin ich nicht. Da ist Wilma, meine Basilikumspflanze, aber sehr viel mehr als zuhören kann die leider nicht. Ihr erzähle ich, wie ich in einem Moment super happy und voller Vorfreude bin und im nächsten voller Unwohlsein. Große Fragezeichen prangern beinahe angsteinflößend vor meinem inneren Auge. Während ich hier sitze, frage ich mich, was genau für dieses Gefühls-Chaos verantwortlich ist. Schließlich wollte ich immer nach Tübingen, um hier zu leben und Rhetorik zu studieren. Glücklicherweiße hat das alles geklappt und ich bin mit meiner Studienwahl mehr als zufrieden. Warum also breitet sich rund um die Magengegend immer wieder dieses mulmige Gefühl aus, das mich nicht einschlafen lässt?
Schritt für Schritt
Noch vor vier Wochen hatte ich keinen Plan davon, wie das mit dem Studieren funktionieren sollte. Ich bin zu den Orientierungsveranstaltungen gegangen, zunächst mehr verzweifelt als beruhigt wieder herausgekommen, und klare Gedanken konnten sich nur mühsam den Weg durch meinen mit Fragen überfüllten Kopf bahnen. Das ist jetzt schon besser. Ich bin bei sämtlichen Portalen angemeldet und weiß, wann ich wo sein muss. Na, wenn das mal nicht ein Lichtblick ist!
Noch vor vier Wochen kannte ich hier niemanden außer Jule und Nicole. Mittlerweile sind eine ganze Menge neuer Namen dazugekommen. Man grüßt und wird gegrüßt, beim Straße überqueren. So viele nette, interessante Leute auf einen Schlag kennenzulernen ist eine unglaubliche Bereicherung. Wann werde ich je wieder in dieser Situation sein?
Noch vor vier Wochen habe ich mich in meiner WG nur wie ‚auf Besuch‘ gefühlt. Mittlerweile habe ich Bilderrahmen, mehr Klamotten, und meine Weingläser bei mir. Ich weiß, wo ich was ablege, hin räume und verstaue. Sobald ich den Schlüssel umdrehe, kann ich durchatmen und fühle mich jeden Tag ein bisschen mehr ‚daheim‘.
„Die war noch zu arg Ersti. Total grün hinter den Ohren!“
Noch vor vier Wochen hätte mich dieser Kommentar, den ich neulich im Bus aufgeschnappt habe, bestimmt verunsichert. Mittlerweile finde ich ihn ziemlich zum Schmunzeln. Die älteren Semester machen sich gerne über uns Erstsemester lustig, nennen uns kindisch und naiv und klingen dabei, als hätten sie vergessen, wie es für sie damals war, als sie die ersten Wochen in der Universitäts-Suppe herumgeschwommen sind. Dabei ist den meisten wohl nicht bewusst, dass auch sie damals ein klein wenig Starthilfe und Zeit gebraucht haben, um sich im Uni Leben einzufinden und dass das nicht zwangsläufig ein Zeichen von Unreife ist.
Vor vier Wochen habe ich mich aufgrund dessen beinahe geschämt, ein Ersti zu sein und habe versucht, diesen Stempel irgendwie zu verstecken. Mittlerweile ist es mir egal. Ja ich benutze Google-Maps um von A nach B zu kommen und ich benutze Stift und Papier um in der Vorlesung mitzuschreiben. Na und? Ich bin damit nicht alleine und der ganze Haufen vor mir hat das bestimmt auch so gehandhabt.
Zeit lassen
Das alles gibt mir Hoffnung und mir wird klar, dass vor vier Wochen alles noch sehr viel unsicherer und fragwürdiger war, als es mittlerweile ist. Und in den nächsten vier Wochen wird sich auch wieder vieles verändert haben und bisher noch offene Fragen und Unsicherheiten werden geklärt sein. Mein Motto dafür:
„Durchatmen, nicht verrücktmachen und weitergehen. Es wird schon alles gut werden.“
Ankommen bedarf nun mal Zeit. Jeder, der mal für eine Zeit ins Ausland gegangen, ist weiß das. Doch nach ein paar Monaten verfliegen anfängliche Fremdeleien und man beginnt sich einzuleben und wohlzufühlen. Ich glaube, dass sich das mit der Uni ganz genau so verhalten wird. Am Anfang ist alles irgendwie komisch und fremd. Doch mit der Zeit lässt dieses Gefühl nach und man kommt an.
Passend dazu fällt mir folgendes Zitatet des US-amerikanischen Musikers Philip Glass ein: „I don’t know what I am doing and it is the not knowing that makes it interesting.” Denn genau das ist dieses neu aufgeschlagene Kapitel: Unheimlich mannigfaltig und interessant.
Schlussendlich ist meine Aufgabe in diesem Moment, mir nicht den Schlaf von unbeantworteten Fragen rauben zu lassen, sondern mich Seite für Seite in dieses neue Kapitel einzulesen. Es wird immer irgendwelche Sachen geben, die neu, fremd und ungeklärt sind. Aber mit der Zeit werde ich damit umzugehen lernen. Und wenn ich mich dann mal wieder alleine fühlen sollte, kann ich entweder mit Wilma quatschen oder einen meiner neu gewonnen Freunde anrufen.
Autorinnen: Clara Solarek und Sinem Tuncer
Fotos: Clara Solarek