Zwischen Wissenschaft und Völkermord

Die Archive der Universität Tübingen bargen bis vor kurzem noch ein nahezu unbekanntes Geheimnis – die Arbeiten des Rassenforschers und SS-Mitglieds Hans Fleischhacker. Jetzt eröffnen diese Zeugnisse der Vergangenheit in der Ausstellung „In Fleischhackers Händen“ das Jahresthema „Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus“ des Museums der Universität.

Der Kontrast zwischen den beiden Ausstellungsräumen ist nicht nur spürbar, sondern auch hörbar. Schlagen einem aus dem ersten Raum noch interessierte Gespräche entgegen, verstummen diese beim Betreten des zweiten völlig. Zu groß ist das bedrückende Gefühl, dass beim Anblick der hier dominierenden Handabdrücke aufkommt. Schwarze Handflächen auf Papier, akribisch aneinandergereiht, die einmal 309 Jüdinnen und Juden gehörten. Der Aufbau der Ausstellung soll die Gleichzeitigkeit aufzeigen, von der die Abdrücke berichten: Die Gleichzeitigkeit von Wissenschaft und industriellem Töten im zweiten Weltkrieg.

Seit dem 24. April bis zum 28. Juni 2015 ist die Ausstellung „In Fleischhackers Händen“ auf dem Schloss Hohentübingen im Museum der Universität für Besucher zugänglich, gleichzeitig stellt sie den Auftakt des Jahresthemas dar, das sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Universität beschäftigt. Bei der Eröffnung vor einer mit Interessierten gut gefüllten Kapelle des Schlosses wird schnell deutlich, warum eine Aufarbeitung wichtig ist. Obwohl Fleischhacker Mitarbeiter der Universität und die Grundlage seiner Habilitationsarbeit „Das Hautleistensystem auf Fingerbeeren und Hautleisten der Juden“ ein Tübinger Forschungsprojekt war, wurde diese Vergangenheit kaum aufgearbeitet und Fleischhacker nach Ende des Krieges zunächst nur als Mitläufer eingestuft.

Fleischhacker
Der Tübinger Rassenanthropologe Hans Fleischhacker (1912-1992)

Persönliche Schicksale und Universitätsgeschichte

Die Thematik und Grausamkeit der Judenverfolgung im dritten Reich ist allseits bekannt. Allerdings zeigen die Handabdrücke der Juden aus Łódź dies auf ihre ganz eigene Art und Weise. Sie beleuchten einerseits, dass sich bei jeder Untersuchung der damaligen Geschehnisse neue Aspekte des Völkermords finden, genauso, wie man erst beim näheren Betrachten der Handflächen die Einzigartigkeit eines jeden aus der Uniformität der Masse heraussehen kann. Andererseits verbinden sie persönliche Schicksale mit der Universitätsgeschichte. Sie machen klar, dass Fleischhacker hier eine methodisch-trockene und wissenschaftliche Basis des Massenmords schaffen wollte und dafür Individuen benutzte, die als Ghettobewohner nur eine dreiprozentige Überlebenschance hatten.

Nach Prof. Dr. Ernst Seidl, dem Verantwortlichen des Jahresprogramms des MUT, müsse Wissenschaft daher immer mit Verantwortung verbunden sein. Das wolle man vor allem den momentan an der Universität Studierenden vermitteln, damit eine Scheuklappenmentalität verhindert und ein reflektierter Umgang mit Wissen geschaffen werden könne. Die Ausstellungen im Schloss zeigen deshalb nicht nur die spezifischen Taten von Hans Fleischhacker, sondern auch das moralische Versagen einer ganzen wissenschaftlichen Elite zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

Eine Universität denkt zurück

Neben der vom 24. April bis 28. Juni 2015 eröffneten Ausstellung über Fleischhackers Arbeit an der Universität gibt die Jahresausstellung „Forschung – Lehre – Recht“, zugänglich vom 22. Mai bis 13. September diesen Jahres, Einblicke in die Vergangenheit der Institution Universität im Nationalsozialismus. Außerdem wird eine Gesprächsrunde mit den drei Enkeltöchtern der von Fleischhacker neben 85 weiteren Juden für eine rassistische Schausammlung ermordeten Alice Simon angeboten. Weitere Angebote des MUT sind zwei weitere Ausstellungen über Hans Bayer und Thaddäus Troll sowie dem Staatsanwalt Fritz Bauer, eine Studium Generale Vorlesung, Stadtrundgänge und eine Filmreihe.

Informationen zu den jeweiligen Veranstaltungen sind auf der Homepage des MUT zu finden: http://www.unimuseum.uni-tuebingen.de/

Die Bilder wurden freundlicherweise vom Museum der Universität MUT zur Verfügung gestellt.

Empfohlene Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert