Wie viele andere Krankenhäuser sind die Tübinger Unikliniken von Personalmangel betroffen. An vielen Stellen seien Pflegepersonal und Ärzte überlastet, berichtet Angela Hauser, die Personalratsvorsitzende des Universitätsklinikums, im Interview. Das hat weitreichende Konsequenzen – auch für Medizinstudierende, die dort Praxiserfahrung sammeln.
Frau Hauser, vielerorts beschweren sich Krankenschwestern über zu hohe Arbeitsbelastungen; in einer Umfrage des Marburger Bundes heißt es sogar, dass Ärzte oft an psychischer Belastung leiden würden. Sind die Arbeitsbedingungen am Universitätsklinikum zufriedenstellend?
Nein, die Arbeitsbedingungen sind nicht zufriedenstellend. Die wenigsten Ärzte kommen bei Problemen zum Personalrat. Meist beklagen sie sich nicht, obwohl sie durchaus Gründe dafür haben. Das liegt daran, dass kaum ein Arzt einen unbefristeten Vertrag hat. Es ist natürlich schwieriger, sich für seine Rechte einzusetzen, wenn der eigene Arbeitsplatz auf fünf Jahre befristet ist.
Wie sieht die Situation bei den Krankenschwestern aus?
Eine Mitarbeiterin der Unikliniken hat in einer Befragung angegeben, dass sie nachts ab 1 Uhr mit 43 Patienten alleine war. 43 Patienten! Wenn sie anfängt bei dem ersten nach dem Rechten zu schauen, sind drei Stunden vorbei bis sie beim letzten ankommt. Es gibt Untersuchungen, die festgestellt haben, dass die Sterblichkeit in einer Station in dem Maße steigt, wie es an Personal fehlt. Dort kann Personalmangel großen Einfluss auf das Patientenwohl haben.
In einer internen Befragung vor ein paar Wochen gaben zwei Drittel der Pflegekräfte an, dass sie nicht einmal ihre Pause machen könnten. Es sei meist so viel los, dass für die Pause keine Zeit bleibe.
Wenn das Pflegepersonal unter zu hohem Druck arbeitet, wird das oft an den Patienten kompensiert.
Manches wird dann eben weggelassen, ein Patient wird nicht gewaschen, der andere bekommt vielleicht seine Medikamente oder sein Mittagessen zu spät. Und selbst diese Beschränkung auf das Wichtigste und Nötigste funktioniert nur, weil das Personal sich selbst ausbeutet. Der eigene Gesundheitsschutz kommt zu kurz: Überstunden, keine richtigen Pausen.
Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach belegt, dass zunehmender Kosten- und Personaldruck an vielen Krankenhäusern zu einem Problem wird. Wie sehen Sie die Situation des Universitätsklinikums im deutschlandweiten Vergleich?
Die Unikliniken haben sicherlich einen besseren Stand als die Kreiskliniken, da wir hier Hochleistungsmedizin betreiben. An den vier Unikliniken, die es in Baden-Württemberg gibt, werden viele Patienten behandelt, die besonders schwierige oder seltene Erkrankungen haben. Auch wir haben natürlich finanzielle Probleme. Es gab schon oft Jahre, in denen wir in die roten Zahlen gerutscht sind. Dann wurden oft Stellen abgebaut oder der Vorstand entschied sich für einen dreimonatigen Stellenstopp. Bei einem Stellenstopp wird jede Stelle, die frei wird, drei Monate lang nicht besetzt.
Studierende der medizinischen Fakultät müssen in Praxissemestern am Universitätsklinikum arbeiten. Wie sieht die praktische Ausbildung dieser jungen Studierenden unter diesen Umständen aus?
Die Anleitung angehender Ärzte geht in vielen Bereichen unter. Das ärztliche Personal hat nicht immer die Zeit, sich um die Studierenden zu kümmern. Dem Pflegepersonal geht es ähnlich. Bei einer vor kurzem durchgeführten Befragung wollten wir wissen, ob das Personal in der Lage ist, seine Auszubildenden – also die Studierenden der medizinischen Fakultät und junge Pflegekräfte – anzuleiten. 56 Prozent haben geantwortet, dass sie dafür keine Zeit hätten. Das ist traurig. Angesichts der Lage wird es klar, warum immer weniger Menschen sich für den Beruf der Krankenschwester entscheiden. Umfragen des DGB berichten, dass die Mehrheit des Pflegepersonals sich nicht vorstellen kann, den eigenen Beruf bis zur Rente auszuüben.
Am ersten Mai haben Sie sich bei einer Kundgebung am Marktplatz für die Belange des Krankenhauspersonals eingesetzt. Als Personalrätin ist es ihre Aufgabe die Interessen der Arbeiterschaft zu repräsentieren. Mit welchen Hürden sehen sie sich dabei konfrontiert?
Wir können lediglich dem Klinikums-Vorstand immer wieder die Überlast-Anzeigen vorlegen und die Situation vor Ort in den Stationen schildern. Leider haben wir als Personalrat keinen Einfluss darauf, ob fehlendes Personal eingestellt wird oder nicht. Das liegt außerhalb unserer Möglichkeiten. Wir möchten dieses Jahr mit dem Arbeitgeber über mehr Personal verhandeln und den Gesundheitsschutz der Arbeitenden sicherstellen.
Ist der Gesundheitsschutz des Personals derzeit gegeben?
Nein, das ist er nicht. Das Arbeitsschutzgesetz schreibt fest vor, dass spätestens nach sechs Stunden eine Pause eingelegt werden muss. Aber 76 Prozent der KrankenhauspflegerInnen sagen, dass sie ihre Pause überhaupt nicht machen können.
Worin sehen sie Gründe für steigenden Personalmangel?
Dieses Jahr wurde die neue Augenklinik eingeweiht. Die Baumaßnahmen betrugen 52 Millionen Euro, 25 Millionen davon hat das Klinikum selbst bezahlt. Die 25 Millionen die dann fehlen, nimmt das Klinikum entweder aus dem laufenden Betrieb, nimmt einen Kredit auf oder baut Stellen ab. Da 75 Prozent der Kosten Personalkosten sind, bleibt oft nichts anderes übrig als einen Stellenstopp einzuleiten und dafür Baumaßnahmen zu ermöglichen.
Wie viel Mitspracherecht hat der Personalrat an den Entscheidungen des Universitätsklinikums?
An den unternehmerischen Entscheidungen hat der Personalrat leider nichts mitzureden. Es gibt Gesetze, die regeln, wann man uns beteiligen und anhören muss. Wenn es um Arbeitszeiten oder unsere Pausen geht, müssen wir angehört werden und stimmen über Vorhaben des Vorstands ab. Wenn zwischen dem Personalrat und dem Arbeitgeber Uneinigkeit herrscht, kann das auch mal bis zur Einigungsstelle gehen, wo dann ein Richter darüber entscheiden muss, wer im Recht ist.
Auf welche Veränderungen hoffen sie in der Zukunft?
Das Gesundheitsministerium muss mehr Geld für Personal zur Verfügung stellen. In einem Krankenhaus muss so viel Personal da sein, wie auch gebraucht wird. Dafür müssen wir uns alle einsetzen.
Fotos: Lukas Kammer