Seit dem 29. November besetzen etwa 20 Studierende den Hörsaal 21 im Kupferbau um gegen das Cyber Valley zu protestieren. Am Dienstag, den 18.12., kam die Unileitung einer Forderung der Gegner des Projektes nach und nahm an einer Podiumsdiskussion zum Thema teil. Von beiden Parteien waren jeweils drei VertreterInnen anwesend.
Schon zehn Minuten vor offiziellem Beginn der Veranstaltung war, aufgrund des gigantischen Andrangs der Hörsaal 25 im Kupferbau voll. Die Moderation meinte zu Beginn, dass sie mit einem großen Interesse gerechnet hatten. „Dass es so voll wird, ist überwältigend“, ließ Moderatorin Anne Glaser verlauten.
Wie Leistungsdruck und KI unsere Gesellschaft verändern
Nach einem kurzen Input der Moderation, die neben Frau Glaser noch Dr. Christopher Gohl umfasste, gab es jeweils ein etwa zehnminütiges Anfangsplädoyer beider Seiten. Für das Bündnis gegen das Cyber Valley sprach Alieren Renkliöz. Er prangerte das auf Leistung getrimmte Bildungssystem an, in dem alles auf die Wirtschaft ausgerichtet sei. Seiner Meinung nach wird Bildung immer mehr zum Unternehmen und dies werde „durch die Exzellenzinitiative noch befeuert“. Die zunehmende Ökonomisierung vieler Lebensbereiche erachtet er als kritisch. Wissenschaft sei auch immer politisch und es stelle sich die Frage, wem das Cyber Valley etwas nützt. Mit Beispielen aus China und der Türkei zeigte er die Problematiken von Künstlicher Intelligenz auf und gab zu bedenken „Informatik ist gut für die Kriegsführung“. In Zeiten, in denen Nationalisten weltweit auf dem Vormarsch sind, seien Techniken, die beispielsweise Überwachungsprozesse ausweiten könnten besonders gefährlich. Alieren beendete seinen Vortrag mit dem Satz: „Kein Cyber Valley!“ was vom Publikum mit viel Applaus gewürdigt wurde.
Für die Uni sprach Ulrike von Luxburg, die im Fachbereich Informatik mit einem Schwerpunkt auf Maschinelles Lernen forscht und unterrichtet. Sie beantwortete zunächst die Frage, warum gerade Tübingen ein geeigneter Standort für das Cyber Valley, sowohl von Seiten der Industrie als auch für die Wissenschaft sei.
Tübingen sei weltweit unter den Top 10 Standorten im Bereich Maschinelles Lernen und deutschlandweit führend. Auch die Industrie habe erkannt, dass „Maschinelles Lernen eine Schlüsseltechnologie ist“ und man sucht händeringend Absolventen in diesem Bereich. Die Wissenschaft wolle deshalb einen attraktiven Standort schaffen, denn „wir müssen die Leute ausbilden, die in der Industrie gebraucht werden“. Jedoch sei keine Forschungsgruppe des Cyber Valleys von finanzieller Förderung der Industrie abhängig. Alle Professuren sind öffentlich finanziert und der Cyber-Valley-Vertrag versichere die Freiheit der Forschung.
Im ersten Schritt werden 165 Mio. aus öffentlichen Geldern finanziert. Die Industrie unterstützt mit insgesamt 7,5 Mio. sowie zwei Stiftungsprofessuren.
Von Luxburg wies auf die Zivilklausel der Uni hin und betonte, dass man sich für friedliche Zwecke einsetze. Künstliche Intelligenz werde die Gesellschaft verändern und dieser Veränderung werde man nicht entkommen. Man wolle sich deshalb nicht zurücklehnen und die Forschung den anderen überlassen, sondern hier verantwortungsvolle Forschung machen. Im Bereich Wohnungsnot in Tübingen brauche es politische Lösungen unabhängig vom Cyber Valley. Es sei falsch die verschiedenen Akteure gegeneinander auszuspielen. Ihr Schlusssatz, man wolle einen „konstruktiven Dialog“ wurde mit ähnlich viel Applaus, wie bei ihrem Vorredner empfangen.
Ethik und Verantwortung oder Kommerz und Ökonomisierung?
Den Auftakt des angesprochenen „konstruktiven Dialogs“ machte Dominik Wetzel vom Bündnis gegen das Cyber Valley. Er betonte gleich zu Beginn man sei nicht gegen KI, sehe aber die Gefahr des Missbrauchs für militärische Zwecke gegeben. Die Zivilklausur sei nicht streng genug, um dies zu verhindern. Er kritisierte, dass es vor der Protestaktion und der Besetzung des Kupferbaus keinerlei Öffentlichkeit für das Cyber Valley gab. Der Mangel an Transparenz sei auch ein Grund für das viel zu geringe Interesse an Hochschulpolitik. Man habe das Gefühl, dass man sowieso nichts ändern könne. Besonders kritisch wird die Kooperation mit manchen Firmen gesehen. „Wenn man von Moral und Ethik spricht kann ich nicht nachvollziehen wie man mit Amazon zusammenarbeitet“ so Dominik.
Rektor Bernd Engler sagte daraufhin, man „akzeptiere, dass dieses Informationsbedürfnis besteht“ und die Uni sei der richtige Ort für einen Dialog. Man wisse, „dass wir in der gesellschaftlichen Verantwortung stehen und nehmen diese auch war“. Die ethische Reflexion sei ein zentrales Prinzip der KI Forschung.
Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung ging weiter sehr kritisch auf die beteiligten Firmen ein. Amazon verwalte die Cloud des CIA und eventuell in Zukunft auch die des Pentagons. ZF Friedrichshafen sei gut vernetzt in der Rüstungsindustrie und produziere Rüstungsgüter, die auch in derzeitigen Kriegen eingesetzt würden und Daimler mache mit ihren Mercerdes-Benz Defence Vehilces damit Werbung, das Rückgrat jeder starken Truppe zu sein. Die Wissenschaft solle Distanz zur Rüstung haben und das Cyber Valley bewirke das Gegenteil.
Auf die Forderungen nach einer soliden Grundfinanzierung ohne Industrie antwortete Matthias Hein, dass in Baden-Württemberg im Gegensatz zu seiner ehemaligen Uni in Saarbrücken durchaus eine solide Grundfinanzierung gegeben ist. Er hätte sich gewünscht, „dass man nicht nur über uns, sondern auch mit uns geredet hätte.“
Lars Wehring vom technologie-kritischen Autorenkollektiv Capulcu machte auf die Gefahren von Künstlicher Intelligenz im Allgemeinen aufmerksam. „Wir brauchen eine kritische Debatte über KI“ mahnte er. Intransparente Algorithmen griffen immer weiter in unser alltägliches Leben ein, gesteuert von wenigen monopolistischen Firmen. Das Ziel der großen Unternehmen sei ganz klar, künstliche Intelligenz zur Verhaltensmanipulation zu benutzen. Der Aktivist warf die Frage in den Raum, ob Tübingen eine „Hochburg der kritischen Forschung“ werden, oder zur Legitimation einer Technokratie weniger Konzerne dienen solle.
Die weitaus positiveren Aspekte sah hingegen Ulrike von Luxburg. KI könne Probleme lösen, etwa könne durch sie der Einsatz von Pflanzenschutzmittel reduziert, Solarstrom koordiniert und damit ein wichtiger Beitrag gegen den Ressourcenmangel geleistet werden. Man sehe allerdings auch die negativen Aspekte von künstlicher Intelligenz und sei auch entsetzt, wozu diese beispielsweise in China verwendet wird. Die Forschung zu verbieten sei allerdings nicht der richtige Weg. Viel mehr brauche man dafür die Politik und gesetzliche Regulierungen. Diese Regulierung sei allerdings nicht die Aufgabe der Forschung.
Dem Aspekt, dass KI manche Probleme in Zukunft lösen könnte stimmte Dominik zwar zu, sagte aber gleichzeitig künstliche Intelligenz sei nicht der Allheilsbringer. Der Hunger in der Welt sei nicht abhängig von KI, sondern viel mehr von unserem globalen Wirtschaftssystem. Weiter stellte er die Frage, wie man mit einem so großen Partner wie Amazon überhaupt umgehen könne. Seiner Meinung nach bestehe ein viel zu großes Machtgefälle zwischen Amazon und der Universität. Der Konzern sei eben nicht aus Gemeinnützigkeit, sondern aus Interesse an Profiten am Projekt beteiligt.
Engler gab zu, dass man in der Tat nicht sicherstellen könne, ob Amazon beispielsweise eine Gesichtserkennungssoftware entwickelt, die an die Polizei verkauft werde. Aber „sie werden es nicht mit unseren Forschungen betreiben“. Entschieden wies Engler auch den Vorwurf, man würde Rüstungsforschung betreiben, als „Nonsense“ zurück. In Tübingen werde Grundlagenforschung stattfinden und kein Industrieunternehmen könne diktieren, woran geforscht wird. Die Motivation sei nicht Kriegsforschung oder ähnliches, sondern Dinge wie frühzeitige Hautkrebserkennung oder personalisierte Medizin, die es ohne „machine learning“ nicht geben werde.
Christoph Marischka stimmte zu, dass in Tübingen derzeit keine Rüstungsforschung im engeren Sinne stattfinde. Dennoch beteilige sich die Universität mit dem Projekt am Entstehen eines „militärisch-industriellen Komplexes“ nach amerikanischem Vorbild. Erkenntnisse gelängen bei einer Zusammenarbeit mit Unternehmen, die sich auch in der Rüstungsforschung betätigten, leicht in falsche Hände.
Zum Aspekt des medizinischen Nutzens von künstlicher Intelligenz gab Lars zu bedenken, dass Amazon plane, in Zukunft auch Aufgabenfelder von Apotheken und Krankenversicherungen zu übernehmen. Mit Blick auf die enorme Macht, die Amazon mithilfe von Big-Data-Analysen zukomme, sei das eine dystopische Vorstellung. Durch Algorithmen bestimmte Risikofaktoren würden dazu führen, dass „der Solidaritätsgedanke komplett unterlaufen“ würde.
Hein unterstützte dagegen Englers Aussage, der medizinische Fortschritt würde durch die KI-Forschung weiter vorangebracht. Er lasse sich in Zukunft „eher von einem System diagnostizieren, dass von Koryphäen der Welt entwickelt wurde als von einem Assistenzarzt, der leider zum ersten Mal bei der Nachtschicht allein ist“. Diese Aussage wurde mit Buh-Rufen von Teilen des Publikums kommentiert. Nochmals betonte der Stiftungsprofessor, er „finde es nicht ok, dass – egal was wir sagen – hier immer noch behauptet wird, wir würden Rüstungsforschung betreiben.“
Erst der Anfang der Debatte?
Nach dieser Podiumsdiskussion wurde die Debatte für das Publikum geöffnet, um Fragen zu stellen.
Eine Frage kam von einer Germanistikstudentin, die sich Sorgen um den Verbleib der Geisteswissenschaften machte. Während für Wissenschaften, wie die Informatik Millionen investiert würden, fehle es im Brechtbau sogar an Steckdosen. Rektor Engler versicherte ihr, dass die „Geistes- und Sozialwissenschaften genauso von öffentlicher Hand gefördert sind wie alle anderen“. Wichtig war es ihm anzumerken, dass er selbst Geisteswissenschaftler sei und auch deshalb bei der Frage geklatscht hatte. Die Universität stehe für „eine Balance in der Ausbildung“.
Der Vorsitzende des StuRas, Jonathan Dreusch meldete sich zu Wort und beklagte fehlendes politisches Engagement der Studierenden. So seien 12% Beteiligung bei der Wahl zum Studierendenrat keine ausreichende Legitimierung und ein Zeichen fehlender Einbindung. Rektor Engler teilte seine Sorgen, gab aber zu, er habe keinen Masterplan.
Eine weitere Wortmeldung kam von Heike Hänsel, MdB und stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Diese bedankte sich zunächst bei den BesetzerInnen, da es ohne sie keine Debatte gegeben hätte und fragte dann, ob denn jemals aufgrund von ethischen Überlegungen Projekte abgelehnt oder gestoppt wurden. Diese Frage beantwortete Prof. Hein. Er habe schon mehrere Projekte aufgrund eigener ethischer Überlegungen abgelehnt. „Ethische Regeln sind uns eine Herzensangelegenheit“ so Hein weiter. Auch Prof. von Luxburg bemerkte, wie wichtig die Ethik für sie sei und wiederholte „wir wollen keine Kriegsforschung“.
Im Schlussstatement des Bündnisses gegen das Cyber Valley wurde von Dominik gefordert, man brauche eine stärkere Zivilklausel von Seiten der Uni, die sich auf die gesamte im Technologiepark betriebene Forschung bezieht und man müsse nicht das ganze Neckartal umbauen, um mit dem Silicon Valley mitzuhalten, wenn Tübingen schon jetzt ein guter Standort für die Forschung sei. Christoph Marischka meinte, man müsse die Gesellschaft fit machen für den Umgang mit künstlicher Intelligenz und Lars stellte die offene Frage, welche Forschungsprogramme überhaupt sinnvoll seien. Ebenfalls unterstrich er, eine Unterstützung von Amazon sei kategorisch falsch und solange diese weiter geplant sei, werde es zu keiner Einigung kommen können.
Rektor Engler merkte an, er habe großes Vertrauen in die Mündigkeit der Studierenden und Lehrenden im Hinblick auf den ethischen Umgang mit künstlicher Intelligenz. Hein wünschte sich ethische Regeln für Tübingen, machte aber auch klar man wolle die Forschung nicht China oder den USA überlassen. Man sei sich einig, dass KI nicht das Allheilmittel ist, meinte von Luxburg, wichtig sei allerdings ein verantwortungsvoller Umgang. Dafür brauche es Regulierungen. Auch die Kritik an den Firmen wies sie zum Teil nicht zurück.
Christopher Gohl beendete die Veranstaltung mit dem Resümee, es sei schön, dass in Tübingen auf diese offenen Weise diskutiert werden könne. Dies sei keine Selbstverständlichkeit in Anbetracht der eklatant unterschiedlichen Sichtweisen auf die Thematik.
Da diese Veranstaltung allerdings nicht zur Konsensfindung gedacht war, sondern nur der erste Anfang der Diskussion darstellen sollte, wird man weiterhin miteinander reden wollen, allerdings in einem anderen Rahmen, als in einem vollbesetzten Hörsaal. Die Kupferblau bleibt dran!
Fotos: Marko Knab