Am Sonntag Abend organisierte der junge studentische Kulturverein Querfeldein zum Tübinger Bücherfest eine Veranstaltung mit dem deutschen Schriftsteller und Soziologe Juan Guse, der Träger des Hallertauer Literatur Preises ist. Im Ribingurūmu hat er über sein neues Buch ‚Miami Punk‘ gesprochen.
Juan S. Guse, geboren 1989, studierte Kreatives Schreiben an der Universität Hildeshein und später Literaturwissenschaften und Soziologie in Hannover. Der aufstrebende Autor wurde bereits mit dem Hallertauer Debütpreis und dem Literaturpreis der Stadt Hannover ausgezeichnet. Für seine Erzählung Pelusa gewann Guse als einer der jüngsten Teilnehmer den Berliner Literaturwettbewerb Open Mike. Heute arbeitet Guse als Doktorand am Institut für Soziologie in Hannover.
Über das Buch
Als etwas „Hochtrabendes, zugespitzt Außergewöhnliches“ – so beschreibt die Moderatorin das Buch ‚Miami Punk‘, bevor sie die erste Frage an seiner Autor stellte.
Das im März veröffentlichte Buch stellt ein dystopisches Miami dar, in dem der Atlantik sich plötzlich zurückgezogen hat und das Gebiet zwischen Florida und den Bahamas sich in eine Wüstenlandschaft verwandelt. Das Meer ist weg, und was bleibt ist eine verwirrte und apokalyptische Stadt. Es gibt keinen Tourismus mehr, die Wirtschaft ist zerstört und die meisten Menschen haben ihre Arbeit verloren. In dieser Welt dringt die virtuelle Realität in die Wirklichkeit, und künstliche Räume vermischen sich mit echten.
Auch Games und Gamer sind ein wichtiger Bestandteil des Buchs. Ein Hauptcharakter ist die Computerspielentwicklerin Robin. Sie programmiert ein Spiel, das zugleich ein Virus ist und auf die persönlichen Dateien seiner Benutzer zugreift, um diese für die eigene Weiterentwicklung zu nutzen. Die Charaktere des Romans fliehen aus ihrem Alltag in die virtuelle Welt der Videospiele, wie es auch im echten Leben beobachtbar ist. Außerdem trifft der Leser auf eine Gruppe Wissenschaftler, die einen Grund für das Geschehene suchen, und auf die militante Gruppierung „Miami Punk“, die ebenfalls nach einer Lösung sucht.
Eine einzigartige Geschichte
“Erleuchtet sind die Straßenzüge der einsamen Stadt, gewaltsam errichtet auf tropischem Sumpf. Wo alles lastet und wankt auf Millionen von Baupfählen aus Stahlbeton und Holz, vor Jahren und Jahrzenten von anonymen Arbeitern in Schwemmsand und Lehm gerammt“.
So beginnt der 640 Seite lange Roman. Als Juan am Sonntag ein paar Fragmente liest spitzen die Zuschauer neugierig die Ohren. Alle bleiben ganz ruhig sitzen und lassen sich begeistern, denn die Moderatorin hatte Recht: So ein außergewöhnliches Buch findet man nicht oft. In dieser Stadt ohne Meer ist alles kurios; eine Alligatoren-Plage beherrschen zu müssen ist da nur ein Besipiel.
Das Buch ist aus experimentellen Fragmenten aufgebaut. Die Teile liegen achronologisch verstreut im Buch herum. Die Perpektive wechselt oft, und zwischen den Fragmenten finden sich Drehbuchpassagen, Tagebucheinträge und Behördendokumente. Realität und Fantasie sind vermischt. Trotz den magischen Elementen meint Juan, dass diese chaotische Gesellschaft sehr nah an unserer Realität sei.
Von Bedeutungsverlust und Arbeitslosigkeit
Juan möchte nicht, dass sein Buch in einem Satz zusammengefasst wird. Er argumentiert: „Ein Buch über Jordanien in den 80er Jahren oder ein Buch über die Schere zwischen Arm und Reich im Lateinamerika, ich mag das nicht“. Vielleicht findet man deswegen keinen einzigen Satz, der ‚Miami Punk‘ umfasst. Es soll nicht kategorisch gelesen werden, nicht als Buch über Computerspiele, nicht als Buch über eine virtuelle Realität oder als Buch der Gesellschaftskritik. Sein surrealistisches und zugespitztes Werk ist zu vielschichtig dafür. Dem Autor nach ist allerdings Bedeutungsverlust ein Gefühl, das durch das ganze Buch wirkt. Denn die Charakteren verlieren den Sinn hinter der Welt, wie sie ist, und hinter ihrem Leben.
Ein anderes Hauptthema des Buchs ist die Arbeitslosigkeit. Auch der berühmte Schriftsteller Charles Bukowski erzählt im Gedicht „My father and the bun“, wie während der Wirtschaftskrise in den USA in den 30 Jahren sein arbeitsloser Vater jeden Tag zur selben Zeit seinen Anzug anzog, das Haus verließ und zurückkam, als ob er immer noch zur Arbeit ginge, obwohl alle wussten, dass er arbeitslos war. In „Miami Punk“ gibt es eine ähnliche Figur, einen Hafenarbeiter, der seinen Job nach der Schließung der Docks einfach imitiert. Arbeit ist mehr als einfach eine Beschäftigung oder ein Weg, Geld zu verdienen. „Miami Punk“ zeigt, dass Arbeit unser Verhältnis zur Realität verändern kann und auf der Suche nach Bedeutung und Sinnhaftigkeit eine große Rolle spielt.
Albtraum Miami
Wieso ausgerechnet Miami? Eine fiktive Stadt wäre auch passend gewesen, meinte einer der Zuhörer im Ribi, da das Buch ja sowieso mit Fantasie und eigenartigen Phänomenen umgehe. Auf diese Frage antwortete Juan er habe keine fiktive Stadt gewählt, damit unsere Realität enger mit dem Roman zu verbinden wäre. Das Miami der Geschichte sei ein Experiment, ein abstrakter Ort, eine Albtraum-Version des echten Miami. Dafür sei die Stadt künstlich genug, auch, wenn er selbst nie in Miami war und die Stadt nur aus der Ferne untersucht hat.
Fotos: Gizem Güler