Tagtäglich kommen wir an Orten vorbei, die nach historischen Persönlichkeiten benannt wurden. Doch wer waren diese Menschen und was leisteten sie, dass Straßen, Plätze und Denkmäler zu ihren Ehren erbaut wurden? Weiterhin, wie schafft man es eigentlich in Tübingen unter all den Männern auch eine Straße mit dazugehöriger Bushaltestelle zu ergattern? Maria von Lindens Lebensgeschichte gibt Antwort darauf, auch wenn sich ihre Straße momentan noch im Bau befindet.
Keine Zeit für kluge Frauen
Auf den ersten Blick wirkt das Leben der Gräfin Maria von Linden-Aspermont zunächst alles andere als benachteiligt. Am 18 Juli 1869 auf Schloss Burgberg auf der Ostalb geboren genoss sie, für eine Frau ihrer Zeit, eine überdurchschnittlich hohe Schulbildung am Victoria-Pensionat und entwickelte dort schon früh eine Passion für die Naturwissenschaften. Allerdings führte diese private Mädchenschule nicht zum Abitur, sondern endete nur mit einem gehobenen Bildungsabschluss, welcher die Absolventinnen allerdings nicht zu einem Studium berechtigte. Ende des 19. Jahrhundert war in der akademischen Gesellschaft einfach kein Platz für kluge Frauen vorgesehen, weshalb ihnen sowohl im Großherzogtum Baden, als auch im Königreich Württemberg ein Studium nicht gestattet war.
Doch Maria von Linden ließ sich so schnell nicht unterkriegen und bildete sich nach mehreren gescheiterten Versuchen, in einem Realgymnasium aufgenommen zu werden, einfach kontinuierlich selbst weiter. 1890 wurde ihr erster wissenschaftlicher Aufsatz „Die Indusienkalke der Hürbe“ veröffentlicht und 1891 gelang es ihr schließlich, mit der Hilfe ihres Onkels, dem ehemaligen württembergischen Außenminister, die Zulassung zu einer externen Abiturprüfung in Stuttgart zu erlangen, welche sie mit Bravour bestand.
Eine Pionierin des Frauenstudiums
Doch damit gab sie sich noch lange nicht zufrieden und bekam, erneut mit der Unterstützung ihres Onkels, schließlich eine Sondergenehmigung des Württembergischen Königs, die es ihr ermöglichte ihr Studium zum Wintersemester 1892/1893 aufzunehmen. Als erste Frau in der Geschichte der Eberhard Karls Universität trat Maria von Linden ihr Studium der Zoologie, Mineralogie, Mathematik und Physik an. Mit gerade einmal zehn zu acht Stimmen nahm der Universitätssenat ihre Sondergenehmigung als Gasthörerin an, verweigerte ihr aber nach wie vor eine Vollimmatrikulation, die ihre männlichen Kommilitonen genossen. Dies erscheint heutzutage schier unvorstellbar, angesichts knapp 60 Prozent weiblicher Studierender in Tübingen. Doch trotz ihrer Sonderstellung war ihr wissenschaftliches Talent unbestreitbar, weshalb von Linden auch 1895 als erste Frau Deutschlands durch den Abschluss ihrer Dissertation „Die Entwicklung der Skulptur und der Zeichnung der Gehäuseschnecken des Meeres“ zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert wurde.
Doch selbst dort sollte ihre Revolution des Frauenstudiums nicht stoppen. Nach einem Wechsel zu Universität Bonn und einigen wissenschaftlichen Preisen wurde ihr 1910 schließlich erneut als erste Frau Deutschlands der Titel „Professor“ vom preußischen Kultusminister verliehen. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen war mit ihrem Titel aber keine Lehrbefugnis oder gar die Übertragung eines Lehrstuhls verbunden. Auch ihr Verdienst lag weit unter dem ihrer Kollegen, weshalb es ihr 1920, nach einem erneuten Antrag auf eine Gehaltserhöhung, erstmals möglich war sich finanziell komplett selbst zu versorgen, bevor 1928 ihr Gehalt wieder gekürzt wurde. Mit dem Beginn des dritten Reiches verschlechterte sich die Situation der Pionierin erneut, da weibliche Professoren in dieser Welt erneut keinen Platz hatten. 1933 wurde sie schließlich zwangspensioniert und wanderte daraufhin nach Lichtenstein aus, wo sie am 26 August 1936 an einer Lungenentzündung starb.
Wir arbeiten daran
Auch wenn Maria von Lindens wissenschaftliche Leistungen in der akademischen Welt durchaus geschätzt wurden, sollte es ihr niemals gelingen eine gleichberechtigte Stellung zu erlangen. Denn im Endeffekt blieb sie zu ihren Lebzeiten stets eine kluge Frau, die ihrer Zeit voraus war. Auch wenn sie selbst nie in der Frauenrechtsbewegung aktiv war und Wissenschaft für sie stets die oberste Priorität darstellte, revolutionierte sie die akademische Welt für viele folgende Generationen kluger Frauen und trug so auf mehreren Wegen ihren Teil zur Emanzipation bei. Selbst heute knapp 83 Jahre nach ihrem Tod herrscht immer noch keine vollkommene Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, was wiederum gut zu dem aktuellen Zustand ihrer Tübinger Straße passt. Wir arbeiten daran.
Quellen und Weitere Informationen:
In dieser Reihe bereits erschienen sind:
Wer war eigentlich … Ludwig Uhland?
Wer war eigentlich … Gmelin?
Wer war eigentlich … Niethammer?
Bilder: Eve Christ
Porträt: Wikimedia Commons