Während des Zweiten Weltkrieges wurden mehr als 1600 Männer und Frauen nach Tübingen rekrutiert, um Zwangsarbeit zu leisten. Sie hatten keine Rechte und ihre Herkunft bestimmte, wie sie behandelt wurden. Die Wanderausstellung „Zwangsarbeit in Tübingen – Ich habe hier meine Jugend und meine Gesundheit verloren“, die momentan im Stadtmuseum zu sehen ist, bietet einen Einblick in die tragischen Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Menschen.
„Mich persönlich erinnert der Zwangsaufenthalt in der schönen Universitätsstadt Tübingen an die größte Gewalt und Tragödie meines Leben[s] […]“, schreibt der ehemalige polnische Zwangsarbeiter Wiktor M. in einem Brief im Jahr 1990. Um tragische Geschichten wie die von Wiktor M. aufzuarbeiten, hat der Verein Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus e.V. (LDNS) eine Wanderausstellung organisiert, die momentan ihre erste Station im Stadtmuseum hat. Durch Zitate, Fotos und Briefe kommen hier die Opfer der Zwangsrekrutierungen selbst zu Wort und erzählen von einem Lebensalltag voller Torturen und ohne Rechte.
Zur Zwangsarbeit nach Tübingen
Um deutsche Arbeitskräfte zu ersetzen, die im Krieg eingesetzt waren, wurden während der Herrschaft des NS-Regimes bis zu 13,5 Millionen ausländische Arbeiter*innen nach Deutschland verschleppt und zur Arbeit zwangsverpflichtet. Auch nach Tübingen. Hier war zum Ende des Krieges jeder Zwölfte ein Zwangsarbeiter. Die Frauen und Männer arbeiteten unter anderem für die Reichsbahn, in Rüstungsbetrieben, auf Bauernhöfen und in der Universitätsklinik. Meist unter schlechten Bedingungen. In 36 bewachten Lagern wurden sie in ganz Tübingen untergebracht und lebten zusammengepfercht ohne jegliche Privatsphäre. Nach den nationalsozialistischen Rassenkategorien hierarchisierte man die Menschen und behandelte sie dementsprechend. Zwangsarbeiter*innen aus verbündeten Staaten waren bessergestellt als beispielsweise Arbeiter*innen aus Polen, Juden und Sinti und Roma. Doch alle litten unter Diskriminierung, Ausgrenzung und ständiger Überwachung. Von öffentlichen Veranstaltungen wurden die Menschen ausgeschlossen und durften nur an gesonderten Orten ihre freie Zeit verbringen. Eine Eingliederung in die Tübinger Gesellschaft war damit nahezu unmöglich.
Mit dem Erinnern beginnen
Mit dem Ende des Krieges im Mai 1945 waren die Zwangsarbeiter*innen frei. Viele kehrten in ihre Heimatländer zurück oder wanderten aus. Lange gerieten ihre Geschichten in Vergessenheit. Erst ab den 1980er Jahren wurden die Geschehnisse langsam aufgearbeitet – als Opfer des NS-Regimes wurden die Zwangsarbeiter*innen jedoch erst 56 Jahre später anerkannt. Die Bundesregierung veranlasste ab 2001 erste Entschädigungszahlungen. Doch viele der Opfer warten noch heute auf eine Anerkennung. Mit der Wanderausstellung will der Verein LDNS nun über die Tübinger Geschichten aus der Zeit 1939-1945 aufklären und eine Erinnerungskultur für die Opfer der Zwangsarbeit schaffen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 19. Januar 2020 im dritten Stockwerk des Stadtmuseums Tübingen zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Fotos: Stadtarchiv Tübingen, E 419/10, Stadtarchiv Tübingen, D 150/060-000/09, Stadtarchiv Tübingen, D 150/060-000/08