Angezeigt: 1 - 1 von 1 ERGEBNISSEN

Die Einmaligkeit des Moments

Jeden dritten Mittwoch des Monats ist es soweit: Im Café Haag kommen die Theaterschauspieler von „Improfusion“ und ihr Publikum zusammen, um gemeinsam für zwei Stunden Welten voller Aberwitz zu kreieren. Ohne Skript, ohne Souffleur, ohne doppelten Boden – alles entsteht spontan auf der Bühne.

Der kleine Raum im Café Haag ist bereits seit fast einer Stunde bis zum Bersten mit Menschen gefüllt; hauptsächlich Studierende, aber auch ältere Leute sind gekommen. Die Stimmung ist heiter und gesellig, fast könnte man den Eindruck gewinnen, es handle sich um einen ganz gewöhnlichen Abend. Wären da nicht die paar Stuhlreihen, die vor der schlicht mit drei schwarzen Wandschirmen präparierten und von Kronleuchtern schwach ausgeleuchteten Bühne aufgestellt wurden. Rechts stehen Sofas – links ein Keyboard. Inklusive des Pianisten, der lange Zeit das einzige Indiz ist, dass die Schauspieler den Abend nicht vergessen haben.

Das Intro ist das einzig einstudierte des Abends

Als der Rest der Truppe schließlich die Bühne betritt – fünf Personen in Schwarz und einer in Weste mit Fliege – ändert das kaum etwas an der lockeren Atmosphäre. Die Musik dudelt weiter vor sich hin. „Die Bauchstimme funktioniert schon mal“, witzelt der mit der Fliege, als endlich jemand die Musik ausgemacht hat. Es ist Tobias Jungwirth, den manche vielleicht vom Rohbautheater Kollektiv kennen. Er übernimmt die Moderation. Es folgt ein gesungenes Intro, das wohl das einzig Einstudierte am Abend ist. Danach bleibt ein grober Plan von Spielen und Geschichten, angekündigt durch den Moderator – das einzig strukturierende Element. Solch ein Spiel ist beispielsweise die klassische Theatersport Disziplin „Armrede“, bei denen ein Schauspieler eine Geschichte zu einem vom Publikum vorgeschlagenen Gegenstand erzählt (in diesem Fall ein Krauthobel), während eine andere Schauspielerin hinter ihm steht und an seiner statt gestikuliert. Das Publikum liebt diesen Sketch, bei dem der Erzählende immer wieder verdutzt auf „seine“ Hände schaut, welche mal das Rund eines formschönen Kohls beschreiben – dann wieder mahnend den Zeigefinger erheben: „Sie wissen wie ärgerlich es ist unterwegs zu sein und die Brote nicht mit frischem Kraut belegen zu können!“ Gerade das Stocken – und Wiederfinden – der Simultanität sorgt bisweilen für besondere Erheiterung bei den Zuschauern.

M97dncqK_Jix2hq2Q5__i9DfXtovWVbJZCdutzOUIao

Liebesgesülze wie im Radio

Besonders beliebt ist auch „Trizophrenie“: Eine Frau trifft sich mit einem in drei Persönlichkeiten gespaltenen Mann (gespielt von drei wechselnden Schauspielern) auf dem Friedhof für ein erstes Date. Den größten Applaus erntet aber Pianist Tobias Litterst, der das Publikum mit seiner spontan intonierten Liebesballade „wie kann ich ohne dich“ von den Sitzen reißt, sofern man sich vorher einen Platz ergattert hatte. Mit quäkender Stimme, kitschigem Klaviergeklimper und herrlich schmalzigem Text fühlt man sich sofort an etliche Radiohits erinnert, irgendwo zwischen neuer deutscher Welle und Daniel Powter. Der sehbehinderte Litterst untermalt die verschiedenen Sketche, Geschichten und Gesangseinlagen des Abends gekonnt mit dem Keyboard. Besonders beeindruckend: Beim Spiel „Stimmungsquadrat“, wo die Schauspieler je nach Standpunkt auf der Bühne verschiedene Gefühlslagen vertreten, erkennt er sofort die zugehörige Stimmung und liefert die passende Musik. Allgemein gelingt das „Stimmungsquadrat“ besonders gut. In der Geschichte um neue Pfleger in einem Altenheim harmonieren die Schauspieler, sprühen vor Ideen und repräsentieren sehr treffend die unterschiedlichen Gefühle.

Die Nähe macht den Charme aus

Es zünden jedoch nicht alle Gags, manche Sketche geraten platt und etwas unkoordiniert. „Es sind bis zu vier verschiedene Perspektiven die zu einer Geschichte verbunden werden müssen“, beschreibt Tobias Jungwirth die Schwierigkeit. Die Schauspieler sind auf ständige Neuanpassung untereinander angewiesen, damit ein gemeinsamer Plot entstehen kann. Diese Gratwanderung bringt der Intro-Song mit den in einer Zeile geäußerten Optionen „Würde verlieren oder Euer Herz berühren“ auf den Punkt. Vorführungen dieser Art sind auch ein Wagnis, jeden Moment kann man scheitern. Dafür aber auch jeden Moment aufs neue die Herzen erobern. Es geschieht glücklicherweise nur die zweite Option. Die gelöste Stimmung im Saal rührt nicht zuletzt daher, dass der Zuschauer im Gegensatz zum herkömmlichen Theater nicht Betrachter eines zusammengehörigen, einstudierten Gesamtkunstwerks ist, sondern sich der Spontanität bewusst ist. So verzeiht man auch den ein oder anderen Patzer oder Flachwitz, feiert die unerwarteten, gelungenen Pointen dann aber umso mehr. „Improtheater ist ein bisschen näher, das macht aber auch den Charme aus“, fasst Schauspielerin Laura Hermenau zusammen.

Qo4ORXMB7TuSBrB5U_Y2C_6_Zy5JD0r-Ujfyt2_RLfI

„Heute war ein guter Tag“

Die Theatergruppe Improfusion setzt sich aus zwei separaten Gruppen zusammen: „Kommando Feenstaub“ und dem „Scheiterhaufen“, sodass sich die Kombo aus insgesamt ca. 18 aktiven Schauspielern speist. Seit nunmehr drei Jahren tritt Improfusion im Café Haag auf. „Dadurch kriegt man Bühnenerfahrung“, sagt Laura Hermenau. Routine sei wichtig, „aber man weiß doch nie was kommt“. Ob die Gratwanderung geglückt sei? „Heute war ein guter Tag“, ist sie überzeugt. Insgesamt bot der Abend so viele schöne, witzige, kuriose Momente (wie die Vampire die gerne Risiko spielen), dass man sich fast wünscht die Geschichten würden festgehalten. Bei genauerer Überlegung erkennt man aber, dass ihre Schönheit, ihr Witz und ihre Kuriosität gerade in der Einmaligkeit des Moments bestehen.

Fotos: Marco Schneider